Mitarbeiter ziehen lassen? Oft ein schlechter Deal. Sie halten? Ja, aber wie?
Margerethe M. ist seit fast 10 Jahren in einer Bank in einer Filiale angestellt. Sie hat in dem Unternehmen mehr oder weniger begonnen. Nach der Schule hat sie zwei Jahre lang studiert, dann aber doch ins Berufsleben gestartet. Frisch von der Schule hat sie eine Menge Ausbildungen gemacht und so ist sie heute angesehene Kundenbetreuerin. Sie betreut rund 450 Kunden und ist zu einem Fixpunkt der Filiale geworden. Doch die Ziele steigen von Jahr zu Jahr. Selbst Margarethe M. tut sich schwer, diese zu erfüllen, geschweige denn die jungen Kollegen. Dazu kommt, dass sie von ihrem Chef laufend darauf hingewiesen wird, dass noch viel zu tun sei und die letzte Gehlatserhöhung ist auch schon wieder vier Jahre her. Tatsächlich ändert sich die Strategie aber fast quartalsweise. Kunden und Mitarbeiter verwirrt das. In den kommenden drei Jahren möchten Margarethe M. und ihr Freund Kinder haben. Aber bei so einem Chef? Der wird ja schon fuchtig, wenn sie einmal früher gehen muss, weil sie keinen anderen Zahnarzttermin bekommen hat. Kurzerhand trägt sich Margarethe M. mit dem Gedanken, zu wechseln. Bei der Nachbarbank sagt man, sei das Klima viel besser. Beruf und Familie sind kein Widerspruch und abgesehen davon zahlt sich sein Wechsel auch finanziell aus. Von nun an gilt ein nicht unerheblicher Teil ihrer Aufmerksamkeit der Jobsuche. Stellen werden gescreent, Bewerbungsgespräche vereinbart, Unternehmensseiten und Jobbörsen durchforstet. Nach etwa 3monatiger Suche und einigen Gesprächen ist es soweit. Margarethe M. kündigt. Sie hat zwar 3 Monate Kündigungsfrist, aber noch knapp 40 Urlaubstage stehen. Das Unternehmen stellt sich auf den altbekannten Standpunkt, dass man Reisende ziehen lassen solle. Die Stelle wird intern und extern ausgeschrieben, nach etwa 2 Monaten hat man einen – nicht ebenso qualifizierten – Ersatz in Form einer neuen Schulabsolventin gefunden, die eingeschult werden soll. Komplizierte Dinge werden erfahrene Kollegen übernehmen, Kunden werden übergeben, das Team rochiert.
Dieser fast alltägliche Fall spielt sich so oder so ähnlich zu hunderten in Unternehmen ab. In fast jedem größeren Betrieb wird die Fluktuation bemängelt und die schwere Suche nach qualifizierten Kräften bejammert. Überraschender Weise machen sich jedoch die wenigsten Unternehmen gezielt Gedanken darüber, was diese Fluktuation eigentlich tatsächlich kostet. Und wie teuer oder billig wäre es im Vergleich gewesen, Margarethe M. zu halten? „Die Kosten sind ohnehin da. Das Personalsuchbudget ist eh jedes Jahr gleich hoch“ ist die dann oft gehörte Antwort. Bei genauerem Hinsehen aber, müsste der vernünftige Unternehmer aber eigentlich hellhörig werden:
Es geht nicht nur um die Kosten, die wir sehen
Fluktuationskosten zu berechnen ist kein leichtes Unterfangen. Dazu kommt, dass diese natürlich von sehr vielen Faktoren abhängig sind. Dennoch wollen wir hier den Versuch wagen und am Beispiel der Margarethe M. berechnen, was denn so ein Abgang tatsächlich kostet.
Dabei ist eines wichtig: nicht alle Kosten lassen sich sehen. Und trotzdem sind sie da und fallen ganz real an. Betrachtet man diese Opportunitätskosten einmal genau, dann wird rasch klar, dass sich eine Investition in die Mitarbeiterbindung, zumal sie wirksam gestaltet ist, jedenfalls rechnet.
In unserem Beispiel unterscheiden wir im Groben folgende Kosten:
- Kosten des scheidenden Mitarbeiters
- Kosten der Neubesetzung
- Einschulungs- / Einarbeitungskosten
- Doppelbelastungskosten
Die Kosten des scheidenden Mitarbeiters
Zu den Kosten des scheidenden Mitarbeiters gehören einige der Dinge, die wir sehen können. So etwa die Abfertigung (beim System Abfertigung alt sind diese besonders gefürchtet, aber auch in der Abfertigung neu fallen laufend Kosten an, die in jedem Fall weg sind), ggf. Entgeltfortzahlung im Falle einer Freistellung, ausstehende Urlaubstage. Aber auch solche Kosten gehören dazu, die nicht sichtbar sind. Irgendjemand schreibt das Dienstzeugnis, macht die Endabrechnung, gibt die Daten im Personalsystem ein, führt ein Austrittsgespräch. Dann wären da Ausbildungskosten, die laufend angefallen sind. Aber auch die Minderleistung während die Mitarbeiterin sich mit dem Gedanken spielt, zu gehen und dann erst in der Kündigungsfrist kann ein erheblicher Kostenfaktor sein. Zugegeben, diese Kosten lassen sich nur schätzen, aber fragen Sie mal Mitarbeiter, die sich verabschiedet haben, wie sehr sie sich innerhalb der Kündigungsfrist noch angestrengt haben…
Also, los geht’s. Wir nehmen an, Margarethe M. hat in ihrem Job brutto 2.600 Euro im Monat verdient, samt Lohnnebenkosten – hier mit 35% berechnet – kostet uns Margarethe M. reine Gehaltskosten rund 3.500 Euro im Monat. Noch nicht eingerechnet sind hier die Arbeitsplatzkosten und sonstige Sozialleistungen, die normalerweise einfach umgelegt werden, wie etwa der Betriebsarzt, die Kantine der Sicherheitsdienst an der Tür, etc. etc.
Kostenart | Basis | Betrag |
Auszuzahlende Urlaubstage |
Annahme im Beispiel: 20 Tage bei einem Teiler von 22 |
Ca. 3.700 |
Entlassungsformalitäten | Wir nehmen an, ein Mitarbeiter der Personalabteilung ist damit in Summe 10 Stunden beschäftigt (Zeugnis schreiben, Endabrechnung, Korrespondenz, Meldungen, …), Kosten des MA: 3500 Euro/Monat inkl. Nebenkosten |
Ca. 220,00 |
Austrittsgespräch mit dem Personalleiter | Personalleitergage inkl. Nebenkosten EUR 9.000,-/Monat |
Ca. 50,00 |
Minderleistung durch Jobsuche und innere Kündigung während der Jobsuche | Annahme: 20% weniger Leistung während der drei Monate Jobsuche |
ca. 2100,00 |
Minderleistung während der Kündigungsfrist | Annahme: 33% während der verbleibenden zwei Monate (20 Tage genommenen Resturlaub berücksichtigt) |
Ca. 2.300,00 |
Schulungen der letzten drei Jahre (Wir rechnen mal nicht weiter zurück) | Annahme: 1.000 Euro pro Jahr, lineare „Entwertung“ |
Ca. 2.000,00 |
Zwischensumme |
10.370,00 |
Die Kosten der Neubesetzung
Auch bei der Neubesetzung verstecken sich neben den offensichtlichen Kosten einige Kosten im laufenden Budget. Offensichtlich sind etwa Kosten für Inserate, Schaltungen in Jobbörsen, Personalberaterhonorare, Einstellungstests, Infomaterial für Bewerber. Dass aber zur Personalsuche viel mehr gehört, wird meist unter den Tisch gekehrt: Abstimmung mit der Führungskraft, Entwurf der Stellenanzeige, Sichten der Bewerbungen, Vorstellungsgespräche, Portokosten, Kosten für das Einholen von Referenzen, Assessment Center, Formalitäten wie Anlage des Personalakts, Anmeldung in der IT, Meldung bei den Behörden, und und und
In unserem Beispiel gehen wir davon aus, dass wir keinen Personalberater eingeschalten haben, sonst wären die Kosten gleich mal um etliche Tausender höher. Aber wir haben geschalten.
Kostenart | Basis | Betrag |
Inserat in der Wochenendbeilage | 1/8 Seite, Tageszeitung, Doppelschaltung inkl. Online |
3.500,00 |
Zeitaufwand für Abstimmung mit Führungkraft inkl. Gestalten der Anzeige und internes Schalten | Annahme: 1,5 Stunden (Führungskraft und MA Personalabteilung) |
Ca. 100,00 |
Sichten der Bewerbungen und einladen von Bewerbern | Annahme: 3 Stunden |
Ca. 80,00 |
Vorstellungsgespräche inkl. Nacharbeit | Annahme: 1,5 Stunden je Termin und das bei zumindest 10 Bewerbern |
Ca. 350,00 |
Einstellungsformalitäten | Annahme: 1,5 Stunden |
Ca. 20,00 |
Zwischensumme |
4050,00 |
Die Kosten für Einschulung- / Einarbeitung
So, ein neuer Mitarbeiter ist gefunden. Rasch noch ein Monat vor Abgang von Margarethe M. eingestellt und los geht’s mit der Ausbildung und Einschulung. Da wären Kosten für die allgemeine Einführung im Unternehmen und der Filiale, die Mappe für Neueinsteiger, Zeit für Einarbeitung ohne eigene Arbeitsleistung und mit Minderleistung eines anderen Mitarbeiters, Ausbildungskosten für Schulungen, und und und.
Kostenart | Basis | Betrag |
Allgemeine Einführung | Ein Tag mit Filialleiter / MA Personalabteilung |
Ca. 160,00 |
Zeit für Einarbeitung ohne eigene Arbeitsleistung | Annahme: Neuer Mitarbeiter verdient 2.000 Euro (inkl. Nebenkosten also ca. 3.000 Euro) und schaut im ersten Monat die Hälfte der Zeit zu, um zu lernen |
1.500,00 |
Minderleistung der einschulenden Mitarbeiter | Annahme: 30% der Zeit zumindest immer eines Mitarbeiters geht für Einschulung in dem Monat drauf, MA kostet uns 3.500 Euro |
Ca. 1000,00 |
Ausbildungskosten | Annahme: Neueinschulung kostet uns 3.000 Euro externe Kosten in den ersten Monaten |
3.000,00 |
Erhöhte Fehlerquote und langsameres Arbeitstempo | Annahme: 10% der Monatsgage als zusätzliche Kosten |
300,00 |
Zwischensumme |
5.960,00 |
Die Kosten für Doppelbelastungen
Und nun wären da noch Kosten für Doppelbelastungen, dazu gehört das Einrichten eines zusätzlichen Arbeitsplatzes, Überstunden der Kollegen, die Kosten der Doppelbesetzung während des einen überlappenden Monats, die internen Kosten für Rochaden der anderen Mitarbeiter, oder aber auch die Kosten, die durch unzufriedene Kunden entstehen, die nach dem Abgang von Margarethe M. gehen. Diese lassen wir hier mal aus, da sie kaum zu berechnen sind.
Kostenart | Basis | Betrag |
Kosten zusätzlicher Arbeitsplatz, Berechtigungen, etc. | Annahme |
500,00 |
Doppelbesetzung im überlappenden Monat | Kosten des neuen Mitarbeiters für das eine Monat |
3.000,00 |
Interne Rochaden der Mitarbeiter, Kundenübergaben, Einarbeitung in neue Kundenfälle, Übernahme neuer Aufgaben | Annahme |
1.000 |
Überstunden der verbleibenden Mitarbeiter | Annahme: 20 Stunden zu einem Gehalt von 3.500,– (inkl. Nebenkosten) |
Ca. 750,00 |
Zwischensumme |
5.250,00 |
Die Endabrechnung
So dann wollen wir mal zusammenrechnen:
Kosten unserer scheidenden Mitarbeiterin |
EUR 10.370,– |
Kosten der Neubesetzung |
EUR 4.050,– |
Kosten für Einschulung / Einarbeitung |
EUR 5.960,– |
Kosten für Doppelbelastungen |
EUR 5.250,– |
FLUKTUATIONSKOSTEN GESAMT |
EUR 25.630,– |
Hm, wieviel haben wir gesagt, kostet uns Margarethe M. vereinfacht gesagt im Monat? 3.500 Euro. Wir haben also gerade mehr als sieben (!) Monatsgehälter ausgegeben, weil wir Margarethe M. verloren haben. Abgehende Kunden, Imageschaden, nachfolgende Mitarbeiter, mangelnde Motivation im Team noch gar nicht eingerechnet. Selbst wenn wir Margarethe M. im Monat 300 Euro mehr Gehalt gegeben hätten, also mit Nebenkosten pro Jahr 5.670 Euro, so rechnet sich diese Entscheidung in vier Jahren noch immer!
Fluktuation ist ein erheblicher Kostenfaktor in Unternehmen und bei genauerem Hinsehen rechtfertig das Senken der Fluktuation um nur einen einzigen Prozentpunkt im Jahr schon beinahe jedes Mitarbeiterbindungsprogramm. Vor allem Maßnahmen im Bereich Arbeitszeitflexibilisierung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Führungskultur gehören zu den Top-Faktoren der Entscheidung für einen Arbeitgeber. Ganz abgesehen von einem marktüblichen, fairen Gehalt. Möglichkeiten, hier etwas zu unternehmen, gibt es viele! Weil eben die Kosten nicht einfach da sind…
Mitarbeiterbindung bringt’s … oder: Was Fluktuation kostet