Unternehmerisches Denken und eigenverantwortliches Handeln von Mitarbeitenden entsteht nicht von selbst, sondern erfordert klare strukturelle Voraussetzungen, die Intrapreneurship ermöglichen und fördern.
Gast-Beitrag von Janosch Erstling und Martin Reisenauer, BDO Austria
Eigenverantwortung braucht Raum
Mitarbeitende sollen Herausforderungen engagiert überwinden, Probleme eigenständig aus der Welt schaffen, Ideen proaktiv einbringen und verfolgen, unternehmerisch denken und entlang der Unternehmensstrategie auf die Betriebsziele hinarbeiten.
Diese Eigenschaften sind für den Mitarbeitenden des 21. Jahrhunderts gewiss hehre Vorstellungen (seitens der Führung) und werden womöglich sogar durch die Wirren einer schnelllebigen Welt, die Disruptionen durch künstliche Intelligenz und rasch wechselnde Arbeitsanforderungen kollektiv eingefordert.
Doch reines Wünschen lässt solches Personal nicht Realität werden. Damit Appelle an den Einzelnen überhaupt verfangen können, bedarf es eines Rahmens, in dem das gewünschte Verhalten möglich ist und Anerkennung erfährt.
Zu oft treffen von Mitarbeitern initiativ eingebrachte Ideen, Prozesse effizienter zu gestalten, im Team auf stumme Ohren; zu oft werden Vorschläge für Innovationen mit einem „Aber das haben wir schon immer so gemacht“ quittiert; zu oft werden selbstständig erarbeitete Problemlösungswege von der Führungskraft beiseite gewischt, bevor diese sie vollständig verstanden hat oder aber, weil kein Vertrauen in eine Herangehensweise gelegt wird.
Für wen solche Situationen Arbeitsalltag sind, von dem ist schwerlich zu erwarten, dass er sich in Zukunft auf das eigene Urteil verlässt, Entscheidungen trifft und intrinsisches Interesse an internen Verbesserungsmöglichkeiten zeigt. Stattdessen wird er sich auf ein reines Befehlsempfangen, Nine to Five und Dienst nach Vorschrift zurückziehen – oder im eigenen Gestaltungswillen frustriert das Unternehmen verlassen.
Die Folgen sind unglückliche Führungskräfte, die zu Recht beklagen, dass ihre Mitarbeitenden nicht eigenständig denken würden und unfähig seien, Verantwortung zu übernehmen.
Vom Unterstützen zum Vertrauen
Lernprozesse benötigen Zeit und ein zuträgliches Umfeld. Von keinem Kleinkind kann erwartet werden, von heute auf morgen einen Marathon zu laufen. Bei ersten Gehversuchen ist (1) eine aktive Unterstützung notwendige Bedingung; doch ebenso wichtig ist es, diese Unterstützung nicht abrupt, sondern sukzessive zurückzuziehen und in (2) Vertrauen übergehen zu lassen.
So verhält es sich bei jedem sozialen Lernprozess und betriebliche Verantwortungsübernahme ist dabei keine Ausnahme. Es benötigt einen Rahmen, der „Intrapreneurship“, also das eigenständige, wirtschaftliche Denken eines jeden Mitarbeitenden ermöglicht und fördert.
Doch wie sehen die Leitlinien eines solchen Rahmens aus? Was sind also die Bedingungen, die Intrapreneurship voraussetzt? Hierfür bieten wir ein dreiteiliges Modell an, das jene Dimensionen beschreibt, die beachtet werden müssen, um seinem Team zu ermöglichen, unternehmerisch aufzutreten:
Strukturelle Voraussetzungen für Intrapreneurship
I: Menschliche Potentiale
Die im Unternehmen arbeitenden Menschen sind das Herzstück jedes Betriebs. Doch jedes Teammitglied bringt unterschiedliche Fähigkeiten und Talente, Interessen und Bedürfnisse bewusst oder unbewusst mit an den Arbeitsplatz. Nicht jeder ist gleichermaßen für eine Aufgabe geeignet, doch was hier als Schwäche gilt, mag dort eine Stärke sein.
Es gilt daher, (1) einerseits passgenaue Anforderungsprofile für unterschiedliche Besetzungen zu erstellen, zu evaluieren und Mitarbeiterauswahl sowie Trainings darauf spezifisch zuzuschneiden. Ebenso wichtig ist jedoch andererseits, (2) sensibel zu sein für die individuellen Eigenheiten eines jeden Mitarbeitenden und diesen Raum für Einsatz im Betrieb und Entwicklung zu geben.
Das gelingt nicht nur durch ein breites Angebot von fachlichen und persönlichen Weiterbildungsmöglichkeiten, sondern vor allem durch eine Kultur, in der Mitarbeitenden zugestanden wird, autonom Entscheidungen zu treffen, und in der sie gleichzeitig Fehler offen teilen dürfen, ohne befürchten zu müssen, dafür verurteilt zu werden.
II: Physische Ressourcen
Letztlich fußt jede Form unternehmerischen Tätigwerdens sowohl in Industrie als auch im Dienstleistungsgewerbe auf materiellen Grundlagen. Es bedarf einer Zange, um die Maschine zu richten ebenso wie des Computers, um die nächste PowerPoint vorzubereiten. Büroräumlichkeiten zum Arbeiten und Infrastruktur, um physiologischen Bedürfnissen nachzugehen. Und eine angemessene, faire Entlohnung ist der wesentliche Grund für Arbeit, damit ein gutes Leben bestritten werden kann.
All diese physischen Ressourcen prägen direkt oder indirekt, wie zuverlässig Arbeit ausgeführt werden kann. Dabei handelt es sich nicht nur um ausreichend helle Räume, das Vorhandensein einer Toilette und eines Grundgehalts, mit dem die Miete bezahlt werden kann. Um freies, unternehmerisches Denken zu ermöglichen, müssen Orte vorhanden sein, die durch Ausstattung und Technik, Architektur und Design einladen, Initiative zu ergreifen, Budgets und Zeit zur Verfügung gestellt werden, um Projekten nachzugehen, und eine Vergütung, die nicht nur psychologische Sicherheit bietet, sondern gleichzeitig durch Anreizsysteme unternehmerisches Handeln fördert – oder zumindest das Ergreifen von Initiative nicht finanziell oder karrieristisch bestraft.
III: Austauschformate
Am Arbeitsplatz treten Menschen miteinander in Interaktion, aber auch mit ihrer (im)materiellen Umgebung. Wie diese Verbindungen zeitlich und räumlich, inhaltlich, sozial und symbolisch in Erscheinung treten, wird durch die geltenden Austauschformate bestimmt.
Solche Formate sind stets vorhanden, oft werden jedoch nur wenige davon reflektiert und ins helle Licht des Bewusstseins gerückt und selten geschieht das in ihrer vollen Tragweite und in ihren weitreichenden Implikationen. Doch erst wenn sie Gegenstand der aktiven Betrachtung werden, eröffnen sich Möglichkeitsräume von Veränderung und Gestaltung.
Ein Organigramm kennt jedes Unternehmen; welche Folgen auf das Selbstverständnis sowie -vertrauen und damit das Verhalten der Mitarbeitenden aus (1) geltenden Befehlsketten und Hierarchien, Verantwortungen und Hoheiten entstehen, bleibt häufig jedoch im Unklaren. Die Art und Weise, wie (2) Kommunikation und Zusammenarbeit, Netzwerke und Gruppen gestaltet werden, ermöglicht oder verunmöglicht unternehmerisches Handeln. Ebenso nimmt der Einsatz von (3) prozessualen und digitalen Abläufen und Zugängen einen wesentlichen Einfluss auf das Handeln der Mitarbeitenden und fördert oder hemmt ihr Engagement.
Eine Garantie, in einem Mitarbeitenden unternehmerisches Denken hervorzurufen gibt es dabei nicht. Doch es gibt die Garantie, unternehmerisches Denken zu unterbinden – indem falsche Anreize gesetzt werden, Personal falsch ausgewählt wird, Bedürfnisse nicht erkannt, Fähigkeiten nicht entwickelt werden, Vertrauen nicht aufgebracht, Initiative nicht unterstützt wird, kurz: indem eine hemmende Atmosphäre geschaffen wird.
Es gilt daher, diese Atmosphäre zu wandeln in ein unterstützendes, vertrauensvolles, aktivierendes Umfeld – sowohl im (1) Umgang mit den Menschen, als auch (2) der Gestaltung der materiellen Umgebung sowie den (3) Verbindungen untereinander und miteinander.
Intrapreneurship | Die Bedingungen eigenverantwortlichen Handelns im Unternehmen
Gast-Autoren
Martin Reisenauer – Durch seine Vergangenheit als Unternehmensbewerter, Interims-CFO und Start-up-Coach ist er es gewöhnt, alle Vorgänge im Unternehmen hinsichtlich ihrer Wert(e)orientierung zu beurteilen. Da der langfristige Erfolg jedes Unternehmens vom perfekten Zusammenspiel der handelnden Personen abhängt, hat er sich darauf spezialisiert, Systeme zu analysieren und Strategien für ihre wert(e)orientierte Optimierung zu entwickeln.

Janosch Erstling – Nach Studien der Psychologie, Philosophie und Geschichte versteht und bearbeitet er unternehmerische Herausforderungen in erster Linie als Ergebnis menschlichen Handelns in einer gewachsenen Organisationskultur. Mehrjährige Tätigkeit in der Mitarbeiter:innenauswahl, im Training und strategischen Personalmanagement helfen ihm heute, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen im Unternehmen zu verstehen, um mit viel Phantasie einen Rahmen für alle zu entwickeln, in dem gemeinsam Großes geschaffen werden kann.
