Konflikte in Unternehmen zu negieren ist meist einfacher als sie offen auszutragen. Und scheint auf den ersten Blick auch bequemer. Unsere Kultur strotzt ohnehin vor Konfliktvermeidern (abgesehen von den spitzen-Worten-hinter-vorgehaltener-Hand). Ich frage in meinem heutigen Expterten-Interview: Wie schaffe ich es zuverlässig, einen Konflikt aufrecht zu erhalten? Gefolgt von der konstruktiveren Herangehnsweise: wie kann ich ihn lösen / damit umgehen?
Experten-Interview
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Welche sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Voraussetzungen, um einen Konflikt aufrecht zu erhalten?
Dr. Ramita Blume MSc, MSc (Sympaideia): Konflikte endlos hinzuziehen gelingt, indem man vermeidet, mit den Augen des anderen zu sehen, mit den Ohren des anderen zu hören und mit dem Herzen des anderen zu fühlen – was zugleich auch ein wirksames Rezept zur Eskalation darstellt.
Harald Schmid (klaglos.at): Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – also den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass sich der Konflikt von alleine wieder löst oder jemand anderer in Aktion tritt und ein Machtwort spricht. Was dabei übersehen wird: Die Konfliktsituation wird durch dieses passive Verhalten noch verschärft und immer mehr Personen werden involviert und erleiden Schaden. Wer einen Konflikt negiert, lebt mit einer tickenden Zeitbombe. Denn jeder Konflikt, der nicht bearbeitet wird, eskaliert irgendwann. Und das meistens zum falschen Zeitpunkt. Mitten in einem wichtigen Projekt oder bei personellen Engpässen. Damit sind massive Konfliktkosten garantiert.
Mag. Sabine Prohaska (seminar consult prohaska):
- Die Einstellung „Der Andere ist schuld an der Situation oder trägt zumindest den Löwenanteil der Schuld.“ Also muss sich der Andere ändern, damit der Konflikt gelöst wird.
- Es wird darauf gewartet, dass eine andere Instanz (Vorgesetzter, Gericht, etc.) den Konflikt löst.
- Den Konflikt zu negieren, also so zu tun, als hätte man gar keinen Konflikt. „Das wird schon wieder.“ „Kommt Zeit, kommt Rat.“
- „Kampfstrategien“ wie Schlechtmachen, sich Verbündetet suchen, Ignorieren, Drohen etc. einsetzen.
Was gehört Ihrer Meinung nach zu einem erfolgreichen Konfliktcoaching unbedingt dazu?
Dr. Gundl Kutschera (Institut Kutschera): Es ist wichtig, dass der Coach die Fähigkeit hat, so schnell wie möglich vom Konfliktverhalten auf die Werteebene gehen zu können. Das heißt z.B.: Häufig geht es in Konflikten um „Besser und Schlechter“. Zum Beispiel kann für manche Mitarbeiter der Wert „Stabilität“ sehr wichtig sein, für andere wieder „Innovation“. Für Konfliktlösungen ist es unbedingt notwendig, von der konfliktreichen Verhaltensebene auf die Werteebene zu wechseln. Hier ist die Aufgabe des Coaches aufzuzeigen, dass beide Werte wichtig sind und beide Werte sich bereichern können. Es kann z.B. eine „stabile Innovation“ geben oder eine „innovative Stabilität“.
Mag. Sabine Prohaska (seminar consult prohaska): In meiner langjährigen Praxis haben sich folgende Punkte als konstruktiv bewährt:
- Jammern kann zu Beginn des Konfliktcoachings hilfreich sein. Die Kunst besteht darin, den Coachee nicht in diesem Stadium verharren zu lassen, sondern ihn in Richtung einer Lösungsorientierung zu bewegen.
- Gemeinsames Herausfinden, worum es wirklich geht: a) Was genau stört mich? b) Welche Veränderung hätte ich gerne? Je genauer unsere Coachees das benennen können, umso leichter wird ihnen dann ein klärendes Gespräch fallen.
- Die Hauptannahme in einem Konflikt ist: „Der oder die andere(n) sind schuld!“ Das Verändern von anderen Personen ist aber kein Coachingziel. Wir können mit dem Coachee nur an seinem eigenen Verhalten arbeiten. Ob wir eine destruktive oder konstruktive Umgangsform im Konfliktfall wählen, liegt in unserer eigenen Verantwortung. Und damit haben wir einen Einfluss darauf, wie die Umwelt auf uns reagiert.
- Perspektivenwechsel sind sehr wichtig und wirksam.
- Als Coach sollte man sich zu keinen Ratschläge hinreißen lassen. Denn die Konfliktlösung muss zum jeweiligen Coachee und zu seiner Situation passen und nicht zu mir als Coach. Auch wenn ich noch so sehr denke: „Dem würde ich es ordentlich reinsagen, dann hätten wir Klarschiff!“, – Der Coachee ist vielleicht (noch) nicht so weit. Wir können aber mit dem Coachee alle Lösungsmöglichkeiten auflisten, die uns einfallen.
- Lässt sich die Situation selbst nicht ändern, gibt es immer noch die Möglichkeit, die eigene Einstellung dazu zu ändern.
Dr. Ramita Blume MSc, MSc (Sympaideia): Da der Konflikt Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit von (mindestens) zwei Positionen – seien es Verhaltensweisen, Motive, Werte, Handlungstendenzen, Sichtweisen – zum Ausdruck bringt, stellt seine Lösung ein logisch unlösbares Problem dar. Systemisch-konstruktivistische Ansätze, die mit paradoxen Problemen wie der Vereinbarkeit der Unvereinbarkeit umzugehen wissen, führen eine Metaebene der Beobachtung ein, um zu Lösungen zu kommen. Mit anderen Worten: Durch Metakommunikation, das Sprechen über den Konflikt, werden sich die gegnerischen Parteien zunächst einig darüber, dass sie uneins sind. Aus Konfliktgegnern (die sich uneins sind) werden Konfliktpartner (die sich einig sind), die gleichermaßen die Verantwortung für den Konflikt übernehmen, der zu einem gemeinsamen Problem wird. In dem Moment, indem die Lösung des Problems von allen Beteiligten auch gewollt wird, ändern sich bereits die Erwartungshaltungen und die Grundlage ist geschaffen, auf der eine konfliktfreie Zielsituation als gemeinsame Wirklichkeit konstruiert werden kann. In diesem Sinne sind Konflikte als Motor für soziales Lernen durchaus positiv zu bewerten. Das wird oft vergessen, denn wir leben heute in einer Konfliktvermeidungskultur, in der, wie Fritz Simon sagt, Konflikte einen ausgesprochen schlechten Ruf genießen. Das kreative produktive Potential für persönliches Wachstum und soziale Entwicklung und Veränderung wird gerne vergessen.
Aus Konfliktgegern sukzessive Konfliktpartner zu machen klingt gut. Doch erscheinen beide zum Coaching?
Konfliktcoaching ist oft nur ein Einzelsetting. Der Einzelne kann zumindest und immerhin bei sich selbst Verhaltensänderung bewirken, das heißt ein anderes Verhalten den am Konfliktsystem Beteiligten gegenüber entwickeln und ins Konfliktsystem einbringen – möglicherweise auch in der Absicht, dem/den anderen Konfliktpartnerschaft (nicht Konfliktgegnerschaft) anzubieten und in einem gemeinsamen Konfliktcoaching als Problem zu thematisieren und zu bearbeiten. Systemisch-konstruktivistisch gedacht kann das Konfliktsystem nicht gesteuert werden, aber jede Verhaltensänderung bewirkt eine Irritation des Systems. Die gewohnten Erwartungen der Beteiligten werden enttäuscht, ihre soziale Wahrnehmung und Wirklichkeit ändert sich, ein neuer Rahmen für die Verhaltensoptionen spannt sich auf. Damit besteht auch die Chance, dass eine neue soziale Wirklichkeit entsteht.
Wenn aber nicht alle Beteiligten an einer Lösung interessiert sind?
Wenn nicht alle Beteiligten an einer Lösung interessiert sind – aus welchen Gründen auch immer – dann bleibt letztendlich nichts anderes übrig als es zu akzeptieren. Denn, wie Heinz von Foerster sagt: „Wenn ein Element in einem Prozess der Konsensbildung oder auch im Dialog oder Trialog nicht mitspielen will, stellt sich keine Konvergenz her.“ Die einzige Alternative zu Kampf, Dauerkonflikt oder Eskalation bis zum Gemeinsam-in-den-Abgrund-gehen ist aus dem Konflikt auszusteigen, die Kommunikation abzubrechen. Aussteigen aus dem Konfliktsystem bedeutet nichts (mehr) zu tun – außer sich selbst zu schützen. Nichts zu tun was dem Konfliktpartner schaden könnte, auch nichts was ihm nützen könnte. Auf keine noch so verlockende Einladung zur weiteren Eskalation des Konflikts zu reagieren.
Worauf muss ein Coach in Konfliktgesprächen zu allererst achten?
Dr. Gundl Kutschera (Institut Kutschera): Da die meisten Konflikte daraus resultieren, dass die Mitarbeiter einander auf die Finger schauen, sich in ihrem Aufgabenbereich kritisieren und damit von den eigenen ablenken wollen, ist es wichtig, immer wieder die Sachebene zu klären. Das heißt, die erste Aufgabe des Coaches ist, die Sachebene zu überprüfen, bevor auf Beziehungskonflikte eingegangen werden kann. Zu dieser Klärung gehört klare Aufgabenstellung, also Klarheit darüber, welchen Spielraum die Mitarbeiter innerhalb ihres Aufgabenbereiches haben. Innerhalb dieses Aufgabenbereiches gibt es für die Mitarbeiter viel Spielraum, der oft nicht wahrgenommen wird. Es ist die Aufgabe der Führungskraft, immer wieder auf ihren Freiraum hinzuweisen und sich über innovative Verbesserungen zu freuen. Innerhalb dieses Spielraumes gibt es viel Platz für Kreativität und Individualität. Greifen Mitarbeiter in die Aufgabenbereiche anderer ein, wird es unweigerlich Ärger geben.
Warum tun wir uns im Umgang mit Konflikten so schwer?
Harald Schmid (klaglos.at): Weil in unserer westlichen Kultur die Kombination „Konflikt + Sinn“ nicht ins logische Denkmuster passt. Reden wir von einem Konflikt, dann meinen wir zwei sich widersprechende Aussagen zu einem Thema. Und unserem Konfliktverständnis nach muss immer eine dieser Meinungen falsch sein. Also eine klassische Streitsituation. Und Streit wollen wir nicht, den empfinden wir als unangenehm. Und daher vermeiden wir Konfliktsituationen. Ganz anders ist der Zugang zum Konflikt in den asiatischen Kulturen. Beispielhaft dafür ein Zitat des chinesischen Philosophen Lao-Tse „Nur wenn man die widersprüchlichen Aussagen einer Sache gleichzeitig betrachtet, hat man die volle Wahrheit.“ Diese Sichtweise führt in der Regel dazu, dass die Konfliktursache ergründet, ein breites Lösungsspektrum erarbeitet und eine nachhaltige Konsenslösung gefunden wird. Wenn wir also Konflikte negieren, riskieren wir nicht nur massive Folgekosten, sondern wir lassen auch viel Lösungspotential ungenützt.
Die Gesprächspartner
Konflikt-Vermeider tun den Unternehmen keinen Gefallen
Mag. Sabine Prohaska seminar consult prohaska Mag. Harald Schmid klaglos.at – Beratung und Begleitung in schwierigen Führungssituationen Dr. Ramita G. Blume MSc, MSc Sympaideia – Institut für Integrative Bildung Dr. Gundl Kutschera Institut Kutschera GmbH |