Führungskräfte sind oft nicht ausschließlich in der Führungsrolle tätig. Viele befinden sich auf einer Gratwanderung zwischen operativem und strategischem Geschehen. Muss diese Gratwanderung zugunsten der strategischen Aufgaben ausfallen? Oder muss der Grat einfach breit genug sein, um den Spielraum zu vergrößern?
Interview
Wie stehen Sie zu folgender Aussage:
Es darf keine Wanderung am Grat zwischen strategischem und oprativem Arbeiten sein, sondern das Aufgabenfeld einer Führungskraft muss klar in der Strategiearbeit liegen. Wer zu sehr operativ verhaftet ist, ist per se keine Führungskraft.
Günther Mathé, MBA (careercenter): Diese Aussage kann ich so nicht unterstreichen. Ab einer gewissen Größe an zu führenden Mitarbeitern ist eine klare Trennung zwischen operativen und strategischen Aufgaben der Führungskraft unbedingt notwendig, weil der Fokus der Führungskraft dann im Strategischen liegen muss. Es hängt allerdings stark von der Position und Unternehmensgröße ab, welche Aufgaben die Führungskraft wahr nimmt und umsetzt. In KMUs und Einzelunternehmen muss die Führungskraft manchmal operative Tätigkeiten durchführen und dennoch ist die Person eine Führungskraft.
Mag. Monika Huemayer (Berlitz Austria): Diese Aussage hat ihre Gültigkeit, weil die Betonung auf „zu sehr“ liegt. Gerade in Klein- und Mittelbetrieben ist es strukturell gar nicht anders möglich, als dass Führungskräfte auch in operative Abläufe eingebunden sind. Positiver Nebeneffekt ist ein starke Akzeptanz der Mitarbeiter, die ihre Chefs besonders schätzen, wenn die im Notfall auch die „ganz normale Arbeit“ übernehmen können.
Reinhard Krechler, MSc (Beraterkreis): Grundsätzlich richtig, aber ich würde die Trennung in entweder-oder nicht ganz so scharf ziehen. Natürlich stimmt es, dass es einen Grundwiderspruch zwischen Fachaufgaben und Führungsaufgaben gibt. Keine Führungskraft kann auf lange Sicht in beiden Bereichen „spitze“ sein.
In unserer Arbeit mit Führungskräften aus dem sozialen und medizinischen Umfeld stellt für viele Führungskräfte das operative Tun mit und an Ihren „Kunden“ aber auch einen wesentlichen Motivationsfaktor dar. Diese erwarten von der Leitung des sie betreuenden Teams auch fachliche Kenntnisse und richtige Entscheidungen.
Für die Führungskräfte im basalen und mittleren Management (und das ist die große Mehrzahl unter allen Führungskräften) muss ein praxistauglicher Kompromiss gefunden werden, der Zeit und Raum für Führungsaufgaben zulässt und doch Anschluss an fachliche Basisexpertise ermöglicht. Das ist aus persönlichen Gründen der Führungskraft selbst und nicht zuletzt aus Akzeptanzgründen innerhalb der Teams wichtig.
Mag. Eva-Maria Ayberk (Hernstein Institut): Je nach Position in der Organisation und den aktuellen Anforderungen an die Führungskräfte (Change, Fusion, Krise, Startup, Führungskultur, Führungsstruktur, etc.) fallen unterschiedliche Anteile operativer Aufgaben/Fachaufgaben und Führungsaufgaben an. Jede Führungskraft, egal welcher Hierarchiestufe, hat auch Anteile an fachspezifischen Aufgaben. Die Realität ist, dass die meisten Führungskräfte aufgrund von Ressourcenengpässen selbst zu viel operativ erledigen, weil sie sich als dynamische Macher verstehen, anstatt sinnvoll und ressourcenbewusst zu delegieren.
MMag. Christoph Blaha, MBA (Controller Institut): Eine Führungskraft hat natürlich in erster Linie die Aufgabe, stetig die Unternehmensstrategie mitzutragen und weiterzuentwickeln. Dennoch darf der Anschluss zum operativen Geschäft nicht verloren werden. Ziel als Führungskraft muss es also sein, klar strategisch gerichtet zu arbeiten und diese Strategieorientierung in der operativen Ebene nicht aus dem Fokus zu verlieren. Nur durch eine funktionierende Verbindung zwischen operativer und strategischer Arbeit kann die Lösung sein.
Welche größten Herausforderungen sehen Sie für Führungskräfte, die sowohl das operative als auch das strategische Arbeiten in Ihrem Job verbinden müssen?
Dr. Clemens Widhalm (Dale Carnegie Austria): Es gilt, als (Führungs-)Persönlichkeit ausgeglichen zu bleiben, sich selbst zu steuern und andere für Ziele zu gewinnen. Sonst drohen Zermürbung und Frustration für alle Beteiligten. Die Aufgabe einer Führungskraft besteht darin, das Team in Bezug auf die gegeben Zielsetzungen kurz-, mittel-, und langfristig erfolgreich zu machen. Dazu muss jede Führungskraft den richtigen Mix aus operativer und strategischer Arbeit finden.
Mag. Eva-Maria Ayberk (Hernstein Institut): Das eigene Rollenverständnis: es braucht Rollenklarheit in alle Richtungen, sie sollten für das Erwartungsmanagement innerhalb einer Matrixorganisation sorgen und die „inneren Antreiber“ (es allen recht machen wollen, stark, perfekt, immer schnell sein müssen) steuern. Rollenflexibilität UND Abgrenzung praktizieren. Delegieren können, regelmäßig die eigene Jobdescription updaten und z.B: operative und strategische Meetings voneinander trennen. Gelingen kann dies durch regelmäßige Stops und Innehalten, um Distanz und Überblick zu gewinnen, um „den Wald und die Bäume und was dazwischen liegt“ zu sehen.
Günther Mathé, MBA (careercenter): Wenn ich als Führungskraft keine Zeit und Energie für klar definierte Ziele, neue Unternehmensausrichtigungen, Weiterentwicklung etc. habe, übersieht man schnell die Veränderungen der Branche oder des Marktes. Auf der anderen Seite kann es für die Führungskraft hilfreich sein, wieder im Alltagsgeschehen miteingebunden zu sein, um Zusammenhänge und Prozesse besser zu verstehen.
Dr. Sabine Weiß (Berlitz Austria): Neben einem exzellenten Zeitmanagement und ausgezeichneter Fachkompetenz benötigt eine solche Führungskraft auch starke soziale und interkulturelle Fähigkeiten.
Die größte Herausforderung besteht sicher darin, eine Balance zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterzielen zu finden. Allerdings können durch den Doppeleinsatz (strategisch und operativ) die Strukturen gemeinsam genützt werden, da sich eine mehrdimensionale, ganzheitliche Sichtweise ergibt und so Synergieeffekte genützt und der Verwaltungsaufwand begrenzt werden können. Daraus kann sich bei geschickter Vorgangsweise sogar ein effizienteres und effektiveres Arbeiten entwickeln.
Welche weiteren Hilfestellungen gibt es hier für Führungskräfte, die vorwärts kommen wollen?
Dr. Clemens Widhalm (Dale Carnegie Austria): Der Austausch mit Führungskräften aus anderen Organisationen und Branchen hilft, die Sichtweisen zu erweitern. Durchaus inhomogene Peergroups von Führungskräften mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund können einander Insights liefern und sich vor allem auch gegenseitig in ihren Entwicklungen bestärken. Deshalb fördern wir solche Settings.
Was raten Sie in diesem Zusammenhang einer „jungen“ Führungskraft, die aus der Basis kommend Führungskraft innerhalb des eigenen Teams geworden ist?
Reinhard Krechler, MSc (Beraterkreis): Es mag paradox klingen, aber zunächst einmal nicht zu hohe Ansprüche an sich selbst zu stellen. Viele der von uns gecoachten Führungskräfte stellen fest, dass sie selbst ein überzeichnetes Bild von ihrer eigenen Rolle als Führungskraft haben und deshalb schnell unzufrieden sind.
Die neue Rolle muss erst gestaltet werden und das braucht Zeit. Junge Führungskräfte sollten zunächst lernen, nicht immer sofort auf alle eigenen wie fremden Erwartungen die vermeintlich richtige Antwort parat zu haben. Es ist äußerst hilfreich, sich in Gelassenheit zu üben, während man zeitgleich an der neuen Rollendefinition arbeitet. Dass das keine leichte Aufgabe ist, wissen wir natürlich auch, aber nachhaltige Entwicklung braucht eben ihre Zeit.
Konkretes Angebot
Im Anschluss an die theoretischen Gedanken möchte ich noch einen Blick werfen auf die konkreten Angebote: was bietet die Führungskräfte-Ausbildung in Österreich an, um dieser Gratwanderung zu begegnen?
Welche Lösungsansätze bieten Sie dazu an? Wie können Sie mit Ihrer Ausbildung Führungskräften beim Finden ihres Weges unterstützen?
Günther Mathé, MBA (careercenter): In unseren Ausbildungen liegt der Fokus immer auf individuelle Entwicklung und Zielerreichung. Ich kann nicht pauschalieren, welche Themen für Führungskräfte am Wichtigsten sind. Eine Führungskraft muss aus meiner Sicht Interesse an seinen Mitarbeitern haben, die Gabe und die Fähigkeit zur Führungspersönlichkeit besitzen und eine gute Ausbildung und Know How im Bereich Management und Führen. Wir holen jede Führungskraft dort ab, wo sie steht und statten sie mit dem notwendigen Werkzeug aus. Es ist mir auch wichtig, den Führungskräften die verschiedenen Führungsstile aufzuzeigen. Eine gute Führungskraft hat nicht EINEN Führungsstil sondern beherrscht alle Möglichkeiten, um jeden Mitarbeiter so zu führen, wie er es braucht.
Dr. Clemens Widhalm (Dale Carnegie Austria): Damit die Transformation von Verhaltensweisen und auch Mindset in gewünschter Art erfolgen kann, begleiten wir Führungskräfte mit unserem „Dale Carnegie Kurs für Kommunikation und gewinnende Persönlichkeit“ (www.dale-carnegie.at/DALE) meist über 10 Wochen mit einem Mix auf Präsenztraining, Transferprojekten und Einzelcoaching.
Mag. Eva-Maria Ayberk (Hernstein Institut): Von einem transaktionalen zu einem transformationalen Führungsverständnis und -verhalten als Vorgesetzter; Executive Coaching beim Wechsel in eine neue Führungsposition („Neu auf dem Chefsessel“); Training in “Personal Mastery“ zum Gestalten der berufsbezogenen Rolle: das „innere und äußere Spiel“ aufeinander ausrichten: Self Leadership; Strukturen schaffen, damit Potenziale erkannt und freigesetzt werden können.
Reinhard Krechler, MSc (Beraterkreis): Es ist wichtig, von Führungskraft zu Führungskraft individuell je nach Position und Aufgabenstellung zu hinterfragen, wie eine angemessene Balance zwischen den beiden Polen aussehen kann und soll. Hilfreich ist hier immer die Frage nach den Auswirkungen, wenn das eine (strategische Führungsaufgaben) oder das andere (operatives Arbeiten) jeweils unerledigt bleibt. Diese Fragestellung bearbeiten wir im Zuge der Rollengestaltung im Rahmen unserer Ausbildung sehr ausführlich.
Mag. Monika Huemayer (Berlitz Austria): Berlitz wendet sowohl als interner wie auch als externer Anbieter von Leadership-Trainings ausreichend Zeit auf, um der Führungskraft die eigenen Präferenzen am Arbeitsplatz bewusst zu machen. Dazu steht Berlitz das valide Assessment des „Cultural Orientations Indicator“ als Unterstützung zur Verfügung, das die kulturellen Vorlieben am Arbeitsplatz in 3 Dimensionen aufzeigt. Im nächsten Schritt braucht es eine ganz transparente Darstellung der Unternehmens-Vision und der Erwartungshaltung an die Führungskraft. In einem Training können diese zwei Felder dann zusammengebracht werden. Jede Führungskraft soll klar beantworten können, was das eigene Unternehmen weiterbringt und welchen Beitrag die Führungskraft dazu leisten kann. Die Erkenntnis darüber und ein Training, um das Setzen der richtigen Prioritäten zu erlernen, ist die größte Unterstützung für all jene, die sowohl operativ als auch strategische Arbeit verbinden müssen.
MMag. Christoph Blaha, MBA (Controller Institut): Ganz zentral steht bei unseren Programmen der Ansatz des kompetenzbasierten Lernens. Wir vorfolgen hier ganz klar folgende Strategie: Lernen kann nur in Verbindung mit Kompetenzerweiterung den gewünschten Mehrwert auf persönlicher, aber auch auf Unternehmensebene bringen. Dies funktioniert oftmals auch im Rahmen unserer Inhouse Trainings besonders gut. Gerade die Finanzfunktion muss heute viel leisten und bewegen, um auf den zunehmenden Wirtschaftsdruck und die stetig steigende Geschwindigkeit reagieren zu können. In kaum einer anderen Funktion gibt es daher im Moment mehr zu lernen und spielt Know-how-Management eine größere Rolle. Führungskräfte sind gefordert, bei schwierigen Fragestellungen und Herausforderungen gesprächsfähig zu sein und einen inhaltlichen Lösungsbeitrag zu liefern.
Die Gesprächspartner
FührungskräfteEntwicklung | Die Gratwanderung zwischen operativem und strategischem Arbeiten
Reinhard Krechler, MSc Beraterkreis Mag. Eva-Maria Ayberk Hernstein Institut für Management und Leadership Günther Mathé, MBA careercenter Mag. Monika Huemayer Berlitz Austria GmbH
DI Dr. Clemens Widhalm Dale Carnegie Austria MMag. Christoph Blaha, MBA Controller Institut |
FK-Entwicklung | Gratwanderung zwischen operativ / strategisch