Die Lehrlings-Ausbildung in Österreich ist gut. Das stell ich mal so in den Raum. Wodurch kann sie ergänzt werden? Was motiviert Lehrlinge besonders? Welche Themen sind die dringensten, die in der akutellen dualen Ausbildung nicht abgedeckt werden?
Ich lade zum Interview. Jene, die Zusatzausbildungen anbieten:
Experten-Interview
Welches sind die dringendsten Themen, die Lehrlinge in ihrer dualen Ausbildung (Unternehmen + Berufsschule) vermissen?
Thomas Dodner (TOP TRAIN): Die Möglichkeit, als eigenständiger, unabhängiger Mensch wahrgenommen zu werden, ohne gegen Unternehmensrichtlinien oder gesellschaftliche Zwänge zu verstoßen.
Das Bedürfnis nach Einmaligkeit ist gerade in dieser Entwicklungsphase sehr präsent und äußert sich oftmals in unerwarteten „Ausbrüchen“. Zur gleichen Zeit benötigen sie eindeutige Richtlinien, eine klare Kommunikation sowie unverrückbare Grenzen. Lehrbeauftragte sollten mit diesen Anforderungen umgehen können, ohne die Lehrlinge in ihrer individuellen Entwicklung zu hindern.
Peter Wiltsche (Il Aus- und Weiterbildung): Die Lehrlinge bekommen über weite Strecken eine sehr fundierte fachliche Ausbildung in ihrem Lehrberuf. Themen, die die Lehrlinge vermissen, sind vor allem im Bereich Kommunikation zu finden: Wie drücke ich mich unmissverständlich aus? Wieso verstehe ich meinen Ausbilder nicht – und er mich nicht? Woher kommen Missverständnisse? Gezielte Unterstützung und Schulungen in diesen Bereichen kann die Arbeitsqualität in vielen Bereichen steigern und die Lehrlinge ermutigen, mit der richtigen Mischung aus Sympathie und Respekt nach Feedback zu fragen (etwas, das die Lehrlinge auch laut dem Lehrlingsmonitor der AK und des ÖGB vermissen).
Viele Lehrlinge sind nach ihrer Schullaufbahn entmutigt. Sie glauben, dass lernen keinen Spaß machen kann. Diese Einstellung kann sich einerseits im Betrieb, andererseits auch in der Berufsschule rächen – wenn Entwicklung immer schwerer möglich wird. Zusätzlich vermissen die Lehrlinge sinnvolle Lernstrategien, die ihnen nachhaltig helfen, Wissen zu behalten.
Dr. Dieter Rosenberger (Lehrlingsakademie Rosenberger Consulting): Prinzipiell ist das Lernen ein Thema, das in Schulen und Ausbildungsbetrieben kaum überschätzt werden kann und ein zentrale Begriff für ein erfolgsreiches Berufsleben darstellt. Auch im Kontext des „lebensbegleitenden Lernen“ ist dies ein notwendiger Grundstein. An dieser Stelle sollen nur zwei Themen kurz beleuchtet werden:
- Kompetenzlernen: Laut Erpenbeck und Sauter sind Kompetenzen mehr als Wissen und Fertigkeiten. Selbstständig organisiertes Denken und Handeln des Einzelnen ist das wahrscheinlich zentrale Element des Kompetenzbegriffs vor allem bei Handeln unter Unsicherheit, Druck, große Komplexität, offener Ausgang, etc.
Die Abgrenzung zur Qualifikation inkl. Wissen und Fertigkeit sind Regeln, Werte und Normen die ihrerseits als selbst organisatorisches Handeln gesehen werden.
Das bedeutet: Kompetenzvermittlung ist stets Wissensvermittlung plus Wertvermittlung. - Didaktik des 3E Lernen: Dieses 3E Lernen ist abgeleitet von der Ermöglichungsdidaktik (Arnold, Lehrstuhl für Erwachsenenbildung, TU Kaiserslautern).
Wie es treffend der Gehirnforscher Dr. Manfred Spitzer („Der Mensch: zum Lernen geboren“) formuliert: Das Gehirn ist kein Muskel, sondern ein Organ und kann daher nicht trainiert werden. Damit ist die Aussage „Lernen ist ein willentlicher und steuerbarer Vorgang“ so nicht haltbar. Vielmehr ist Lernen von vielen persönlichen Themen wie z.B. der Lernhistorie des Lernenden, Sozialisierung, Umfeld beim Lernen… abhängig.
Weder Rezepte und Verallgemeinerung noch standardisierter Unterricht führen zum Ziel, sondern das individuelle Eingehen auf den Lernenden in seiner Erkenntniswelt. Dies darf jedoch nicht mit kontraproduktiver Kuschelpädagogik verwechselt werden.
Weitere dringliche Themen sind u.a. konnektivistische Ansätze mit E-Learning und blended learning
Dipl. Päd. Hubert Hilgert (PLAYMIT): Das Thema ist nicht so sehr, was Unternehmen oder Berufsschule schon oder nicht anbieten, sondern vielmehr, was die Gesellschaft den Jugendlichen heute nicht mehr in dem Maße mitgibt, wie das früher der Fall war.
Geborgenheit in der Familie, grundlegendes Elementarwissen und soziale Kompetenzen für das tägliche Leben, die ganz einfach in der „guten Kinderstube“ selbstverständlich sind. Hausverstand und lösungsorientiertes Denken mit einem starken Willen, Engagement und Durchhaltevermögen.
Thomas Humer (OCT): Die wichtigsten Themen sind die Soziale Kompetenz und das logische Denken.
Günther Mathé, MBA (careercenter): Das Unternehmen ist vorrangig für die fachliche, praktische Ausbildung verantwortlich, die Berufsschule setzt allgemeine und eher theoretische Schwerpunkte. Meiner Meinung nach ist der große Bereich „Persönlichkeitsentwicklung“ bei Lehrlingen, die sich gerade in einer großen Phase der Veränderung in Ihrem Leben befinden, ein großes Thema. Auch der Umgang mit sozialen Medien, mit dem ersten eigenen Geld und das Thema Suchtprävention (Alkohol, Drogen, Handy usw.) sind wichtige Punkte, bei denen meiner Meinung viele Lehrlinge Unterstützung brauchen.
Weshalb werden diese nicht von Unternehmen und / oder Berufsschule abgedeckt?
Günther Mathé, MBA (careercenter): Es handelt sich bei den oben genannten Themen klar nicht um die Hauptkompetenzen der Unternehmen und Berufsschulen. Lehrer und Ausbildner sind an Lehr- und Ausbildungspläne gebunden, an denen sie sich orientieren müssen. Es geht hier auch nicht immer darum was Lehrer und Ausbilder gerne machen möchten. Zeit und Vorgaben lassen eine intensive Auseinandersetzung mit gewissen Themen einfach nicht zu.
Peter Wiltsche (Il Aus- und Weiterbildung): Sowohl in den Unternehmen als auch vielfach in der Berufsschule fehlen die Zeit und Expertise, um sich diesen Themen vertiefend zu widmen. Die fachliche Kompetenz, die die Lehrlinge erwerben müssen, steht im Vordergrund und bietet fast keinen Freiraum mehr für andere Gebiete. Außerdem ist es gerade in Persönlichkeitsbildenden Bereichen sinnvoll, wenn jemand von außen mit den Lehrlingen arbeitet, weil die Hemmschwelle bei den Lehrlingen sinkt und so noch gezielteres Arbeiten möglich ist.
Dr. Dieter Rosenberger (Lehrlingsakademie Rosenberger Consulting):
- Berufsschule: Aus traditionellen Motiven und daraus ableitende Systeme zwingen Berufsschullehrer oft in eine behavioristische Lernsituationen.
Ein gegensätzlicher lerntheoretischer Ansatz bietet der Konstruktivismus in dem das Lernen als aktiver Prozess eingestuft wird. - Ausbildungsbetrieb: Auch im Ausbildungsbetrieben kann oft folgendes Ausbildungskonzept beobachtet werden: 1. Information, 2. Vormachen, 3. Nachmachen, 4. Übung. Dieses Ausbildungskonzept entspricht der mittelalterlichen Meisterlehre.
Thomas Humer (OCT): Meist ist zu wenig Zeit dafür vorgesehen und die Wichtigkeit wird oft nicht erkannt. Global gesehen gibt es schon Unternehmen wo dies besser funktioniert und vor allem mehr Zeit investiert wird. Denn in den Unternehmen, in welchem mehrere Lehrlinge beschäftigt sind und eventuell auch ein eigener Lehrlingsbeauftragter ist eine bessere Funktionalität gegeben. Ist dies nicht der Fall und nur weniger Lehrlinge beschäftigt, sind meist andere Dinge wichtiger.
Thomas Dodner (TOP TRAIN): Sowohl das Unternehmen als auch die Berufsschule leisten das, was der Gesetzgeber aber auch die Eltern der Lehrlinge von ihnen erwarten. Führungskräften fehlen zumeist die Erfahrung und das Wissen über die aktuellen Bedürfnisse ihrer Lehrlinge.
Dipl. Päd. Hubert Hilgert (PLAYMIT): Aus der Not heraus versuchen viele Arbeitgeber und Schulen, Versäumnisse des Elternhauses, Probleme der Gesellschaft nachzuholen, abzudecken, zu korrigieren. Aber leider ist das nur teilweise möglich, weil der Grundstein eben in der Kindheit gelegt werden muss.
Welche Bereiche davon können Sie anbieten? Wie gehen Sie vor, um Lehrlingen genau diese Themenfelder näher zu bringen?
Thomas Dodner (TOP TRAIN): Die Lehrlinge erhalten Informationen über psychologische Grundbedürfnisse und finden sich schnell mit ihren individuellen Themen wieder. Nun verstehen sie ihre Bedürfnisse und sind in der Lage, sie verständlicher zu vermitteln. Missverständnissen kann so vorgebeugt werden.
Enttäuscht wird der Lehrling jedoch dann, wenn seine Führungskraft absolut kein „Ohr“ oder auch keine „Zeit“ dafür hat. Daher ist es unbedingt erforderlich, vor der Vermittlung dieser Kenntnisse auch seine Führungskraft über die Chancen zu informieren, welche durch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Bedürfnissen entstehen.
Günther Mathé, MBA (careercenter): Wir sind ein Institut mit über 10 langjährigen und erfahrenen Trainern und können daher ein breites Spektrum an Themen für Lehrlinge anbieten, die wir gemeinsam mit den Lehrlingsausbildnern auf die Bedürfnisse und Wünsche der Unternehmen maßschneidern. Beispiele hierfür sind Lerntechnik, Suchtprävention, Präsentationstechniken, Kommunikation und Rhetorik, Business Knigge und vieles mehr.
Ich sehe es als besonders wichtig, Lehrlinge in die Erarbeitung der Themen zu integrieren. Gerade bei jungen Menschen ist die Aufmerksamkeitsspanne geringer. Bei zu langen theoretischen Inputs schalten sie auf „Durchzug“, sie finden das Seminar fad und es bleibt nichts hängen. Gerade bei dieser Zielgruppe ist ein Methodenmix aus Theorieinput, Praxisübungen, erlebnispädagogischen Elementen wesentlich. Außerdem ist es wichtig, die Lehrlinge als gleichwertige Personen wahrzunehmen und ernst zu nehmen – ein zu „lehrerhaftes“ auftreten des Trainers ist für den Erfolg eines Seminars nicht förderlich.
Peter Wiltsche (Il Aus- und Weiterbildung): Gerade bei den Lehrlingen ist es wichtig, ihnen in jedem Seminar Wertschätzung und Respekt entgegen zu bringen. Sie wollen als gleichwertige Erwachsene wahrgenommen und behandelt werden – und trotzdem darf eine Portion Spaß nicht fehlen ;-). Außerdem braucht es auch die nötige Abwechslung: Challenges und direkt anwendbare und begreifbare Tools für Beruf und Alltag machen den Seminartag rund. Diese und weitere vermeintliche Kleinigkeiten machen ein erfolgreiches Lehrlingsseminar aus.
Da sowohl Lehrlinge als auch Lehrlingsausbilder unsere Seminare besuchen, kennen wir die Spannungsfelder zwischen diesen beiden Gruppen im Bereich Kommunikation sehr gut. Außerdem gehören Vorbereitungsseminare zur LAP mit den richtigen Lerntechniken und den nötigen Tipps und Tricks zu unserem Seminarrepertoire.
Dipl. Päd. Hubert Hilgert (PLAYMIT): Wir bieten Jugendlichen schon im Schulbereich in spielerischer Form und in Verbindung mit monatlichen Gewinnen (Motivation durch Leistung) Bildungsthemen an, die mit der Wirtschaft abgestimmt wurden und die den Jugendlichen nicht nur helfen, sich inhaltlich auf den Berufsseinstieg vorzubereiten, sondern sie können sich beim Arbeitgeber durch die Beilage einer Playmit-Urkunde auch gleich von anderen Bewerbern abheben und damit ihr Engagement zeigen. Um sich die Urkunde zu erarbeiten, muss man ca. 1.900 Bildungsfragen beantworten. Der Fokus liegt auf „Bildung für die Praxis“, auch in Verbindung mit sozialen Kompetenzen.
Wie gehen Sie auf einen „schwierigen“ Lehrling ein? Was tun, wenn der Lehrling nicht „will“?
Thomas Dodner (TOP TRAIN): „Wer nicht kann der will nicht!“ Dieser Satz wurde unter Otto von Bismarck unter dem preußischen Königreich geprägt und gilt vielerorts leider noch heute. Dank der Arbeit bedeutender Psychologen im 20. Jahrhundert ist längst bekannt dass es neben „können“ und „wollen“ auch ein „dürfen“ (Erlaubnisse und Verbote) und „genießen“ („Ich habe Spaß mit dem was ich tue“) gibt. Nur wenn mich wirklich interessiert was den Lehrling antreibt oder seine Motivation erschwert, werde ich eine Chance haben aus diesem jungen Menschen einen wertvollen Mitarbeiter für unser Unternehmen zu machen.
Der Wettstreit um die „besten Lehrlinge“ ist längst im Gange. In einigen Jahren werden nur die Unternehmen über die wirksamsten Mitarbeiter verfügen, welche bereit sind, Zeit und Geld in die Förderung ihres Nachwuchses zu investieren. Die erfolgreichsten Sportvereine tun das schon längst – Unternehmen jedoch lassen diesen Weitblick oft noch vermissen.
Dr. Dieter Rosenberger (Lehrlingsakademie Rosenberger Consulting): In jedem Menschen steckt eine Hochbegabung oder wie ist das Menschenbild bezüglich Lehrlinge?
Folgendes Gedankenexperiment: Stellen sie sich den „unfähigsten“ Lehrling vor. Der zu nichts zu gebrauchen ist, der faul und von Bequemlichkeit geprägt ist. Haben sie diesen Lehrling in der Vorstellung? Wieso ist dieser Lehrling in seinem Freundeskreis bekannt, weil er die Mopeds am besten „auffrisieren“ kann, damit diese laut und schnell sind? Dieses fiktive Gedankenexperiment kann vielleicht helfen, Potentiale der Jugendlichen zu erkennen.
Reflexionsfragen dazu könnten z.B. sein: Wie blicke ich routinemäßig auf schwierige Lehrlinge und seit wann habe ich das? Welche Stärken, Potentiale, Positives sehe ich beim Lehrling nicht und warum?
Solch ein Menschenbild hilft, dass mehr Jugendliche bessere Ausbildungschancen erhalten und vor allem ist dies für jeden Betrieb von zentraler Bedeutung, da Lehrlinge das jetzige und zukünftige humane Kapital eines Betriebes darstellen.
Welche Möglichkeiten gibt es, besonders motivierte und begeisterte Lehrlinge zu fördern?
Peter Wiltsche (Il Aus- und Weiterbildung): Lehrlinge, die besonders in ihrem Beruf aufgehen und schnell lernen, brauchen laufend neue Herausforderungen. Bewährt haben sich – neben der Vertiefung von spezifischem Fachwissen – auch die Übertragung von Kompetenzen und Verantwortung. Gerade zu Beginn erscheint der Schritt recht groß, Lehrlingen Verantwortung zu übergeben – das Gute daran ist, dass sie schon kleine Aufgaben wertschätzen und sich darin entwickeln. Zusätzlich kann in weiterführenden Seminaren schon geübt werden, was dann im Betrieb umgesetzt werden soll. So werden die vielversprechendsten Lehrlinge schon früh zu potenziellen Führungskräften und Facharbeitern ausgebildet und können somit eher an den Betrieb gebunden werden.
Welchen Nutzen haben Firmen davon, persönlichkeitsbildende Seminare für ihre Lehrlinge anzubieten?
Günther Mathé, MBA (careercenter): Gut ausgebildete Mitarbeiter sind das Kapital jeder Firma, egal in welcher Ebene. Persönlichkeitsbildende Inhalte können Probleme, die sich aus Generationenkonflikten oder entwicklungsbedingten Themen (Sucht, Konflikte, etc.) ergeben könnten, bereits im Vorfeld ausschalten. Motivierte Lehrlinge werden zu engagierten, leistungsbereiten Mitarbeitern und welche Firma wünscht sich das nicht?
Die Gesprächspartner
Lehrlings-Ausbildung | Begleitende Maßnahmen mit großer Wirkung
Günther Mathé, MBA careercenter Thomas Dodner TOP TRAIN Unternehmensberatung und Training GmbH Peter Wiltsche Il Aus- und Weiterbildung GmbH Hubert Hilgert PLAYMIT GmbH Dr. Dieter Rosenberger Lehrlingsakademie Rosenberger Consulting GesmbH Thomas Humer OCT |