Mit der fortschreitenden Digitalisierung verändern sich fast alle Jobs. Manche mehr. Manche nur zu einem geringen Teil. Aber es gibt heutzutage fast keine Arbeitsplätze, die nicht direkt oder indirekt von Computern, digitalen Maschinen oder künstlicher Intelligenz betroffen sind. Wir sehen uns die Psychische Belastung 4.0 an und fragen: Was hat sich wirklich geändert?
In der Verwaltung werden die meisten Dinge digital erledigt. Auch wenn das papierlose Büro meist noch eine Wunschvorstellung ist, sind dennoch reine Papierakten eine Seltenheit.
Mit dieser Entwicklung ist auch eine gefühlte Beschleunigung verbunden. Häufig sagen Beschäftigte: „Alles geht immer schneller. Es ist immer stressiger beim Arbeiten.“ oder „Früher hatten wir noch Zeit Dinge abzuarbeiten. Jetzt muss alles immer sofort erledigt werden.“
Was ist wirklich dran an diesem Gefühl? Was hat sich wirklich durch die Digitalisierung verändert?
Die Universität Wien widmete dieser Entwicklung sogar ein eigenes Forschungsprojekt: „Arbeit im Wandel“. Hier zeigte sich unter anderem, dass der Zeitdruck subjektiv zugenommen hat, aber auch die Autonomie in der Arbeit. Ob das positiv oder negativ gesehen wird, hängt von den Erfahrungen der Beschäftigten ab. Das führt aber v.a. in der IT-Branche dazu, dass Arbeit immer mehr mit nach Hause genommen wird und die privaten Bedürfnisse hinten angestellt werden.
Schnelle Kommunikation
Mit E-Mails, Smartphones und digitalem Akt werden heutzutage Aufgaben in kürzester Geschwindigkeit übertragen. Oft auch zu schnell mit Tippfehlern, falschen Adressaten und unausgereiften Ideen.
Problematisch ist auch, dass oft eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit und ständige Erreichbarkeit erwartet wird. Es bleibt oft keine Ruhe für ausgefeilte Ideen und kreative Lösungen. Komplexe Antworten sollen in „Management Summarys“ auf das Notwendigste reduziert werden. Und auch im Urlaub kann man doch wohl dem Kollegen eine kurze Frage stellen, oder?
Soziale Netzwerke sind aus dem Privatleben oft nicht mehr wegzudenken. Aber auch viele große Firmen nutzen immer mehr Social-Collaboration-Plattformen um Teamkommunikation zu vereinfachen. Paralleles Arbeiten an Texten, nachvollziehbare Gruppendiskussionen und Kommentarfunktionen erleichtern in vielen Branchen den Arbeitsalltag. Auch in kleineren Teams (wie Reinigungsfirmen oder Partien auf Baustellen) gibt es häufig schnelle Lösungen wie WhatsApp-Gruppen um sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen.
Das verlangt von den Beschäftigten eine gewisse digitale Kompetenz und die Bereitschaft sich zu vernetzen um an wichtige Informationen zu kommen.
Lesetipp: „New Work | Digitalisierung der Kommunikation“
Veränderte Aufgaben
Durch die vielen Aufgaben, die in einem Gerät zusammenlaufen, ist jedoch auch die Gefahr größer, dass wir uns selbst ablenken. Wir können immer mehrere Fenster am PC offen haben und so uns der Illusion hingeben, dass wir multitaskingfähig sind. In der Realität führt dies nur zu mehr Ablenkung, Prokrastination bei unangenehmen Aufgaben und scheinbar mehr Aktivität. Das Gehirn kann nicht mehrere kognitive Aufgaben parallel erledigen und braucht nach jeder Unterbrechung einige Zeit um wieder in den produktiven Flow zu kommen.
Aufpoppende E-Mails helfen hier nicht bei der Produktivität.
Mit der Digitalisierung werden tendenziell dem Menschen aber auch mehr autonome Entscheidungen überlassen. Routineaufgaben übernimmt die künstliche Intelligenz. Die freien Kapazitäten können sinnvoll mit Autonomie und Handlungsspielraum gefüllt werden.
Interaktion mit smarten Maschinen
In den letzten Jahrzehnten stieg die Zahl der Beschäftigten stark an, die täglich mit smarten Maschinen arbeiten. Denken Sie hier nicht nur an den normalen Computer, sondern auch an Roboter in der Produktfertigung, Virtual Reality und vernetzte Produktionsmaschinen.
Diese neuen „Kollegen“ bringen auch neue psychische Anforderungen mit sich. Eine nutzerzentrierte Software will gut programmiert sein. Die Bedienung will dann gelernt sein.
Diese smarten Helfer verändern auch die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine immer mehr.
Home Office.
Noch vor 30 Jahren war es in den meisten Berufen undenkbar nicht in der Früh in die Firma zu fahren. Aber Home-Office-Tage gehören für viele Beschäftigte bereits zum Arbeitsalltag. Dies bringt jedoch auch neue Herausforderungen für Führungskräfte und Mitarbeiter mit sich.
Teamleiter haben oft zunächst Bedenken, dass die fehlende „visuelle Kontrolle“ zu einem verdeckten Urlaubstag führt. Es ist wohl eher die Illusion, dass Beschäftigte im Büro ständig arbeiten und das Menschenbild, dass Mitarbeiter Zwang brauchen zum Arbeiten, die zu einer Ablehnung von Home Office führt. Werden die Beschäftigten zu Hause jedoch ständig angerufen und so kontrolliert, führt dies dazu, dass sie nur widerwillig arbeiten und viele Pausen machen, belegt eine aktuelle Studie.
Ganz anders ist es, wenn Home Office freiwillig gewählt wird und man dort in Ruhe arbeiten kann. Dann beuten sich Mitarbeiter im Home-Office eher selbst aus als im Büro. Nicht alle Arbeitsstunden werden geschrieben. Es werden weniger Pausen gemacht weil konzentrierter durchgearbeitet wird.
Für Beschäftigte ist jedoch die Umstellung beim Home Office auf Alleinarbeit, weniger informeller Austausch und dem veränderten Arbeitsfokus eine Herausforderung.
Daher ist es wichtig bei der Einführung von Home Office auf Probezeiten, Flexibilität und möglichst viel Freiheit der Beschäftigten zu achten. Nicht jedes System passt für jeden Mitarbeiter!
Neue Arbeitsformen.
Agilität ist das neuste Schlagwort in der Personalorganisation. Auch wenn wenige Unternehmen sich wirklich an alle agilen Grundsätze oder genau an SCRUM-Leitfäden halten, ist dennoch klar, dass Beschäftigte heutzutage mehr Handlungsspielräume haben als früher. Mehr Selbstorganisation wird von ihnen verlangt. Komplexe Kundenanforderungen und schnellere Wege resultieren in weniger Vorgaben und mehr Eigenverantwortung.
Daher sind viele Firmen neben der Digitalisierung von Prozessen auch mit dem Reduzieren von Hierarchien und vernetzteren Arbeitsformen beschäftigt. Auch das bringt neue Kommunikationsanforderungen an die Beschäftigten und oftmals ein verändertes Rollenbild für Führungskräfte.
Lebenslanges Lernen.
Unsere Gesellschaft wandelt sich immer mehr zu einer Wissensgesellschaft. Auch ständiges Lernen und Weiterbildung wird dadurch normal. Unsere Jobs werden nicht die nächsten 20 Jahre gleich bleiben, wie dies in vielen Berufen der vorherigen Generationen der Fall gewesen ist. Und für manche Mitarbeiter werden diese Entwicklungschancen zu unangenehmen Entwicklungszwängen.
Lesetipp: „Die Zukunft der Weiterbildung“
Was ist immer noch gleich?
Viele psychische Arbeitsbedingungen haben sich jedoch auch nicht geändert und sind seit Jahrzehnten ident:
- Die psychischen Anforderungen im direkten Kundenkontakt (Emotionsarbeit, Interaktion).
- Viele mentale Anforderungen sind gleich geblieben, egal auf welchem Medium gearbeitet wird (Papier oder E-Mail) z.B. Texte (Briefe, Konzepte, Berichte) schreiben. Kann halt jetzt auch leichter korrigiert werden.
- Der Kampf um die „menschengerechte Arbeitszeit“ wird nach wie vor heiß diskutiert und kontrovers geführt. Schon vor 100 Jahren gab es psychologische Experimente zur Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibenden und teilweise produktiveren Ergebnissen. Dieses Thema wird uns auch in den kommenden Jahrzehnten sehr beschäfitgen.
- Das Sozialklima durch die Führungskraft und die Kollegen. Das Team ist ein nie zu unterschätzender Faktor von psychischen Belastungen. Vielleicht ändert sich durch offenere Strukturen wie wir unser Team definieren, aber deren Einfluss auf unser Wohlbefinden im Job wird immer stark sein. Und es ist erschreckend wie wenig die vorhandenen hochwertigen Messverfahren und international entwickelten Standards (z.B. DIN 33430) bei der Personal- und Führungskräfteauswahl eingesetzt werden.
Psychische Belastung 4.0 | Was hat sich wirklich geändert?