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Meist ist es nicht der Wandel per se, der die Leute verschreckt. Vielmehr misslingen die üblichen Change-Prozesse. Sie erzeugen Zwang statt Freiwilligkeit. Besser läuft es mithilfe von Gamification.
Viele Unternehmen klagen über interne Beharrungstendenzen in Zusammenhang mit dem notwendigen Wandel. Doch Veränderung im Sinne dienlicher Weiterentwicklung kann etwas sehr Freudvolles sein. Oft genug ist man einfach nur froh, wenn auf etwas schlechtes Bestehendes etwas besseres Neuartiges folgt. Unser ganzes Leben lang verändern wir Dinge, wenn das Danach uns attraktiver erscheint als das Davor.
Klar mag unser Gehirn das Bekannte und die Routinen. Zugleich übt Neues eine starke Faszination auf uns aus. So haben die Menschen schon immer das Alte verworfen und das Neue gewagt. Die Evolution stellt die Lernbereitschaft und den Pioniergeist vor das Beharren und die Tradition. Nur so ist Fortschritt überhaupt möglich. Die Suche nach dem nützlichen Neuen zählt zu den wichtigsten Triebfedern unseres Denkapparats.
Ablehnung und Unlust entstehen vor allem immer dann, wenn etwas „von oben“ verordnet wird, also mit Druck oder Zwang behaftet ist. Zustimmung hingegen entsteht, wenn wir über eine Veränderung selbst entscheiden. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und Fortschritt. Wenn die Mitarbeitenden aktiv in die Veränderungsprozesse eingebunden werden, kann der Wandel wirklich gelingen.
Bei Veränderungsprozessen ist das „Wie“ ganz entscheidend
Wenn es um Veränderung geht, zählt vor allem das „Wie“. Erwünschter interner Wandel lässt sich zum Beispiel recht leicht erzielen, wenn man das Ganze spielerisch angeht und daraus eine Team-Challenge macht. Als Inspirationsquelle kann die Gaming-Industrie dienen. Sie nährt nicht nur unseren Spieltrieb, sondern stillt auch unseren mächtigen Wunsch nach sofortiger Anerkennung, wenn uns etwas gelingt.
Die populärsten Spiele sind übrigens Gemeinschaftsspiele. Da geht es nicht nur darum, Punkte, Badges und höhere Level zu erreichen. Es gilt darüber hinaus, in renommierte Gemeinschaften und Gilden aufgenommen zu werden und gemeinsam zu siegen. Ein starkes „Wir-Gefühl“ entwickelt sich vor allem durch Miteinander-Erlebnisse, durch erzielte Ergebnisse und den Stolz, Teil einer starken Gemeinschaft zu sein.
Diese Erfolgsprinzipien funktionieren selbstverständlich auch firmenintern. Zunächst ist zu priorisieren, was zum Beispiel dringend verbessert werden muss. Mit einer fokussierenden Frage kommt man schnell auf den Punkt: „Was sollte bei uns am ehesten verbessert werden, weil es alle nervt.“ Jeder schreibt maximal drei Kärtchen, für jede Antwort eins. Sie werden an einer (virtuellen) Pinnwand gesammelt und priorisiert.
Ein Beispiel: Verbesserung der Meeting-Kultur
Bei der Markenagentur Kaapke sollte es, wie Kerstin Friedrich in ihrem Buch „Spielregeln für Game Changer“ berichtet, um die Meeting-Qualität gehen. Gemeinsam wurde eine Team-Challenge entworfen. Dazu wurden zunächst die Kriterien für ein gutes Meeting definiert:
- Es fängt pünktlich an.
- Es hört pünktlich auf.
- Es hat ein Ziel.
- Es bleibt beim Thema.
- Es verläuft ohne Störungen.
- Es pflegt einen wohlwollenden Umgangston.
- Es ist wertvoll für alle.
- Es endet mit klaren To-dos.
Für jeden dieser acht Aspekte gab es bei Gelingen einen Punkt. Die Challenge bekam einen klingenden Namen: Meet & Win. Sie sollte sechs Wochen lang laufen. Das Messsystem wurde, ganz wichtig, vom Team selbst festgelegt: als Minimalziel galten 100 Punkte, als zweites Level 200 Punkte, und als ehrgeizigstes Ziel 400 Punkte. Ein öffentlich sichtbares Scoreboard diente dazu, die Ergebnisse festzuhalten.
Und das Resultat? Das Maximalziel wurde erreicht. Zudem wurde, weil die Meetings deutlich schneller verliefen, in diesen sechs Wochen Arbeitszeit im Wert von mehr als 10.000 Euro eingespart. Und das Beste: Auch ohne eine weitere Challenge fanden fortan alle Meetings vorbildlich statt.
An die Stelle von Autorität tritt Gruppendynamik
Herkömmlicherweise werden Regeln von oben vorgegeben – und bei Nichteinhalten droht eine Form von Bestrafung: zum Beispiel Zurechtweisungen durch Kollegen oder Rügen vom Chef. Team-Challenges hingegen basieren auf Selbstorganisation und feiern Erfolge. Demgegenüber muss man bei Anordnungen ständig auf das Einhalten der Regeln pochen. Gibt es keine Kontrollen, setzt der alte Schlendrian schnell wieder ein.
Werden Challenges stattdessen auf freiwilliger Basis vom Team selbst ins Leben gerufen, geht jeder eigenverantwortlich damit um. An die Stelle von Autorität tritt Gruppendynamik. Zudem steht positive Verstärkung im Vordergrund. Der Fokus geht weg vom Müssen hin zum Wollen. Infolgedessen ist die Motivation höher, der Spaß ist größer und der Ansporn, das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, ist sehr viel stärker.
So ging es beim IT-Anbieter Infinitas darum, Verbesserungsideen zu generieren. Die Team-Challenge, die dazu konzipiert wurde, nannte man „Doktorspielchen“. Zunächst wurden alle aufgefordert, „Diagnosen“ zu erstellen: Wo gibt es „Schmerzen“, was sind die Symptome, welche Pein verursachen diese. Danach wurden die „Therapien“, also die Verbesserungsvorschläge entwickelt. Diagnose und Therapie wurden auf einen „Rezeptschein“ geschrieben, der denen aus einer Arztpraxis verblüffend ähnlich sah.
Spielregeln zum Konzipieren einer Team-Challenge
Grundsätzlich kann man, so Kerstin Friedrich, auf jedes Ziel spielen, dass sich durch eine Kennzahl messen lässt. Als Thema kann man fast alles wählen, was im Arbeitsleben so ansteht. Besonders eignen sich erwünschte Verhaltensänderungen, Vertriebsaktivitäten, Kostensparmaßnahmen usw. Folgendes ist dabei zu beachten:
- Miteinander: Die Challenges werden nie als Wettbewerb gegeneinander entworfen, vielmehr spielt immer das gesamte Team gegen die Zielzahl.
- Scoreboard: Es gibt ein öffentlich sichtbares Scoreboard mit – idealerweise – drei Zielzahl-Levels.
- Name: Das Spiel braucht einen knackigen Namen.
- Dauer: Die Dauer der Challenge wird gemeinsam vorab festgelegt.
- Belohnung: Jedes Mal, wenn ein neues Level erreicht wird, gibt es eine kleine Belohnung.
- Hilfsmittel: Gute Dienste im Sinne von Storytelling leistet ein kurzes Video über das Vorgehen und die Ergebnisse.
- Retrospektive: Das Ganze wird im Rahmen einer Retrospektive ausgewertet, um für das nächste Spiel zu lernen.
- Blaupausen: Die Challenges werden immer situativ konzipiert. Standardvorgehensweisen gibt es also nicht.
Mein Fazit
Wenn die Veränderungsschritte „klein“ sind und die Mitarbeitenden es gewohnt sind, diese selbst zu konzipieren und an neue Umstände immer wieder anzupassen, ist es viel leichter, das Unternehmen bei Bedarf zu restrukturieren. Freiwilligkeit und eine spielerische Herangehensweise sind die wichtigsten Zutaten für gelingende Wandelprozesse.
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen (2019): Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft, Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, ISBN: 978-3869368993
Auch als Hörbuch erhältlich