In der Praxis sehen wir, dass „culture fit“ oft eine Worthülse bleibt, die sehr individuell mit Sinn befüllt wird. Grund dafür ist, dass es oft an einer klaren Kultur- und Wertedefinition fehlt. Genauso wie an Kriterien, woran sie gemessen werden kann. Wenn diese Definition jedoch nicht gegeben ist, laufen Rekrutierungs-Verantwortliche Gefahr in Bias-Fallen zu tappen, die von der eigentlichen Idee des „culture fit“ stark abweichen.
Das zeigt Rivera in ihrem Buch Pedigree, indem sie vorstellt; dass „fitting in“ eines der wesentlichen genannten Kriterien von Managern (82%) für eine Personalauswahl darstellt. Tatsächlich hatten nur die Hälfte der befragten Manager eine klare Vorstellung davon, was deren organisationale Kultur auszeichnet und nur 30% hatten auch Messinstrumente, um diese zu operationalisieren.
INHALT
Unter „culture fit“ wird die Passung von Mitarbeitenden oder Job-Kandidatinnen und -Kandidaten und deren Werten mit der Organisationskultur der Zielorganisation vorstanden. Untersuchungen zeigen, dass ein ähnliches Verständnis zukünftiger Mitarbeitender hinsichtlich grundlegender Organisationswerte sowohl wichtig für die Bindung ans Unternehmen ist als auch deren Motivation positiv beeinflusst.
Ohne reflektierten und strukturieren Rekrutierungsprozess dahinter, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, einem Bauchgefühl nachzugehen, das sich sehr stark von persönlichen Präferenzen und Vorstellungen leiten lässt. Das wäre noch kein Problem, wenn wir nicht wüssten, dass gerade in der Rekrutierung Bias zu diskriminierenden Einstellungspraktiken führen kann und dadurch das eigentliche Ziel verfehlt, nämlich die am besten geeignete Person, aufgrund ihrer Qualitäten, Kompetenzen, Erfahrungen und Potenziale zu finden.
Wenn die Bias Falle zuschnappt
Einige typische Bias-Fallen, die infolgedessen auftreten und meist unbewusst passieren, sind u.a. der Ähnlichkeitsbias, Bestätigungsfehler sowie der Halo- und Horn-Effekt.
Ähnlichkeitsbias
Der Ähnlichkeitsbias beschreibt das Phänomen des umgangssprachlich gern verwendeten Spruchs: „Gleich und gleich gesellt sich gern“. Wir tendieren dazu Menschen sympathischer einzustufen, die uns ähnlich sind, im Aussehen, den Interessen, den Erfahrungen, der sozialen Herkunft usw. Das gemeinsame Hobby fließt dann unbewusst in die Endentscheidung ein.
Bestätigungsfehler
Der Bestätigungsfehler äußert sich dadurch, dass wir dazu neigen Informationen so zu selektieren, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen. Informationen, die den eigenen Erwartungen widersprechen, werden unbewusst ausgeblendet. Der erste Eindruck einer Person, kann dann dazu führen, dass im Gespräch nur noch unbewusst Aspekte gesucht werden, die diesen Eindruck bestätigen.
Halo- Effekt und Horn- Effekt
Halo, leitet sich vom Heiligenschein ab und beschreibt das Phänomen, dass ein Merkmal alle anderen überstrahlt. Eine Stärke wird somit generalisiert. Beim Horn- Effekt führt eine Schwäche im Gegenzug zu einer generellen schlechten Bewertung. Untersuchungen zeigen, dass die Normgruppe oft von diesem Halo Effekt profitiert und vom Horn-Effekt eher Minderheitengruppen und Frauen betroffen sind.
Das „gute Bauchgefühl“ als möglicher Bias-Indikator?
All diese Bias-Fallen können sich in einem „guten Bauchgefühl“ äußern, was möglicherweise nur auf Bias hinweist und unreflektiert zu einer Einstellungsentscheidung führt, die von den zuvor definierten eigentlichen Kompetenzkriterien für die Position abweicht. Organisationen, die dieses nicht reflektieren, rekrutieren unbewusst Teams, die in sich homogen sind. Kleine Klone, die sich untereinander gut verstehen, da sie den gleichen Sport betreiben, nach der Arbeit noch ein Bier trinken gehen und dieselben Interessen haben. Das kann so lange gut gehen, bis die äußeren Rahmenbedingungen dies nicht mehr zulassen.
Amy Edmondson beschreibt in Ihrem Buch „The Fearless Organization“ (2019), dass dieses Modell des „fitting in“ in einer Wissensgesellschaft nicht mehr zukunftstauglich ist. Vielmehr braucht es für Erfolg einen Nährboden für neue Ideen und kritisches Denken, um Innovation und Kreativität hervorzubringen. Für diese Herausforderungen benötigen wir einerseits Diversität in Teams um auf Perspektivenvielfalt, unterschiedliche Erfahrungen, Kompetenzen und Wissen zugreifen zu können. Andererseits bedarf es auch einer Organisationskultur, die kritisches Denken, neue Ideen, Herausforderungen Dissens aber auch Scheitern zulässt.
Was können wir tun, um diese oftmals unbewussten Bias-Fallen in der Rekrutierung zu verhindern? Neben einer genauen Definition der eigenen Kultur, klaren Kriterien und Standardisierung des Rekrutierungsprozesses, findet in der Praxis ein neuer Ansatz immer mehr Zuspruch, das Konzept des „cultural add“.
Weg vom Culture Fit hin zum Cultural-Add?
Cultural-Add geht über die Idee des Fit hinaus und beschreibt den zusätzlichen Beitrag, den das Individuum für die Organisation, das Team und die Kulturarbeit im Unternehmen leisten kann. Welche Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten bereichern das bestehende Team? Ein Mindset, dass die Entwicklung im Blick behält und den Verantwortlichen immer vor Augen hält, dass es um organisationales Lernen geht. Nicht die perfekte Passung ist das Ziel, sondern die kontinuierliche Weiterentwicklung, kombiniert mit einem reflektierten und achtsamen Umgang mit der eigenen Kultur und dem klaren Verständnis von vorhandenen Werten. Das ermöglicht auch den Blick in die Zukunft zu richten mit der Frage, was wird in Zukunft relevant sein, welche Aufgaben werden zu erfüllen sein und wohin wird sich die zu besetzende Stelle weiterentwickeln müssen?
Fragen, die auf den Cultural-Add abzielen, setzen voraus, dass sich Verantwortliche vorab auch mit existierenden Werten und der bestehende Organisationskultur beschäftigt haben, diese kennen und bestenfalls auch leben. Wofür steht unsere Organisation, was sind die wesentlichen Werte, die die Zusammenarbeit ausmachen?
Im Rekrutierungsprozess selbst ist neben der genauen Definition die Messbarkeit ein wesentliches Kriterium, um Bias-Fallen zu vermeiden. Wie operationalisieren und gewichten wir die gegebenen Antworten? Transparenz und Standardisierung kann Bias bereits im Vorfeld verhindern oder im Prozess aufdecken. Beides sollte das Ziel eines verantwortungsvollen, zukunftsgerichteten Rekrutierungsprozesses sein.
Autorin
Gloria Warmuth ist Academic Expert & Lecturer an der FHWien der WKW.
Literatur
- Edmondson, A. (2019): The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Gildan Media, LLC
- Elfenbein, H., O’Reilly (2007): Fitting In. The Effects of Relational Demography and Person-Culture Fit on Group Process and Persformance. Group & Organization Management Vol. 32, No. 1, 109-142.
- Hofmans, J., Judge, T (2019): Hiring for Culture Fit doesn’t have to undermine Diversity. Harvard Business Review
- Rivera, L. (2016): Pedigree: How Elite Students get Elite Jobs. Princeton UP
- Wondrak, M. (2022): Recruiting – Culture Add statt Cultural Fit. anti-bias.eu