Wenn hybride Arbeit – die Kombination von Arbeit im Büro & zu Hause – Alltag wird, so bringt es zahlreiche Chancen, aber auch Risiken mit sich. Worauf ist konkret zu achten?
In einem Experten-Interview frage ich: Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus einem hybriden Arbeitsumfeld für
- Führungskräfte,
- Mitarbeitende und
- Unternehmen?
Links der HR-Branche Führungskräfte-Entwicklung
Chancen für Unternehmen
Mag. Karin Schnopfhagen, MSc: Unternehmen haben die Möglichkeit neue Mitarbeitergruppen zu erschließen. Durch den Wegfall des täglichen Pendelns und durch die damit verbundene Reduktion der Anfahrtszeiten, können auch Menschen angesprochen werden, die etwas weiter weg wohnen.
Eva-Maria Kraus (NewView): Weniger Büromiete, weniger Fixkosten, Aufwertung der eigenen Employer Brand, glücklichere, zufriedenere Mitarbeitende und weniger Fluktuation sind die sich durchaus lohnenden Vorteile.
Chancen für Führungskräfte
Veronika Aumaier (Aumaier Consulting Training): Die Chancen vom hybriden Arbeiten und Führen ergibt viel Sinn, wenn sich auch der Arbeitsort im Office ändert. Shared desks und unterschiedliche Arbeitszonen laden ein, zur Kommunikation und zum persönlichen Austausch ins Office zu kommen, was wiederum den Zusammenhalt und die Kreativität bei Lösungsfindungen unterstützt. Führungskräfte haben einen ausgeglichen gelebten Wechsel zwischen an- und abwesenden Mitarbeitenden sicher zu stellen und über unterschiedliche Kommunikationskanäle die Beziehung zu den einzelnen Teammitgliedern aufrecht zu erhalten und zu beleben.
Risiken für Führungskräfte
Mag. Eva Ayberk (Ayberk.co): Risiken: keine Anpassung der Führung auf die speziellen Anforderungen des hybriden Arbeitens, ineffiziente Nutzung der digitalen Möglichkeiten, dh keine Kommunikationsarchitektur; Auseinandertriften des Teams, vor allem wenn Mitarbeitende sehr selten im Büro sind.
Eva-Maria Kraus (NewView): Risiken können aus negativer Gruppendynamik entstehen, die sich unbeachtet bis zum Äußersten verselbstständigen kann.
Außerdem besteht die Gefahr, dass Führungskräfte die Arbeitsleistung von denen, die im Büro arbeiten, eher wahrnehmen als die der Mitarbeitenden im Homeoffice. Wenn die Führungskraft sich dahingehend nicht hinterfragt, ihre Wahrnehmung also für die Wahrheit hält, schließt sie oft daraus, dass jemand im Office fleißiger sei, als jemand im Homeoffice. Zusätzlich haben viele Führungskräfte noch nicht ihren Hang zur Kontrolle abgelegt, was gerade gegenüber Mitarbeitenden im Homeoffice immer wieder Misstrauen hervorruft. Und befördert man jemanden, dem man misstraut?
Mag. Petra Koinig (ITO): Die Herausforderung ist es, Informationsfluss, Kommunikation und Zusammenarbeit im Team zu organisieren und sicherzustellen, damit alle Beteiligten über eine passende Infrastruktur, die richtigen Tools und Prozesse verfügen, um auch disloziert im Home Office in der hybriden Kooperation gute Ergebnisse abzuliefern.
Dr. Judith Girschik (ICF): Elektronische Kommunikation gestaltet sich weniger reichhaltig als das persönliche Gespräch und reduziert sich vor allem auf den transaktionalen Aspekt, also auf den Austausch von Informationen. Umgebung, Körpersprache und Mimik des Gesprächspartners lassen sich so nur eingeschränkt oder verzerrt wahrnehmen. Das wirkt sich ungünstig auf kreative Prozesse aus, für die derartige Details wichtig sein können.
Dadurch fühlen sich vor allem extravertierte Führungskräfte und Mitarbeitende isoliert.
Das hybride Arbeiten führt zu einer wachsenden Verschmelzung von Arbeit und privatem Umfeld. Wer vergisst, hier Grenzen zu setzen, fühlt sich rasch überlastet.
Mag. Andrea Schwarz, MA (bab Unternehmensberatung): eine Herausforderung für die Führung kann die Steuerung der Leistungserbringung und der gefühlte Kontrollverlust sein, der durch die Distanz erzeugt wird. Herausfordernd ist mitunter die Gleichbehandlung im Team. Wenn einige Teammitglieder beispielsweise immer da sind, andere aber öfter im Homeoffice, kommt es leicht zu Ungleichheiten, z.B. in Hinblick auf die Arbeitsverteilung. Dann erhält mitunter nicht die Person, die am besten geeignet ist, die Aufgabe, sondern die, die gerade im Büro greifbar ist. Auch die Anzahl und Lage der Tage, wann wer im Homeoffice „sein darf“, kann sich zum Zankapfel entwickeln.
Chancen für Mitarbeitende / Teams
Veronika Aumaier (Aumaier Consulting Training): Die Chancen des hybriden Arbeitens liegen in jedem Fall in der Flexibilität punkto Arbeitsort und -zeit. Sie gewähren im Home Office die oftmals dringend benötigten Rückzugsmöglichkeiten und Konzentrationszeiträume, die im Office aufgrund der Kommunikationsbedarfe der Kollegen nicht immer ausreichend gegeben sind. Fixe Kommunikationstage im Büro, die vor allem dem Austausch gewidmet sind, sind sinnvoll, da es mittlerweile kaum mehr Funktionen gibt, die nicht auf ein Gruppenergebnis einzahlen. Im Gegenteil, Projekte und Prozesse machen einen gezielten Austausch und Abstimmungsrunden unumgänglich.
Mag. Andrea Schwarz, MA (bab Unternehmensberatung): Allem voran steht die Zeit- und Kostenersparnis aufgrund der wegfallenden Anreise. Dass weniger in die Arbeit gependelt werden muss und auch die Zeitgestaltung flexibler wird, wirkt sich zusätzlich positiv auf die Vereinbarkeit mit privater Sorgearbeit aus und hat natürlich auch positive Effekte auf die Umwelt (Nachhaltigkeit).
Für viele ist das ungestörte und konzentrierte Arbeiten in den eigenen vier Wänden ein großer Pluspunkt. Das und die oft bessere Pausengestaltung stärken Motivation und Arbeitsfähigkeit. Dass das Arbeiten in den eigenen vier Wänden aber auch zur Belastung werden kann, wenn die Trennung zwischen Beruflichem und Privatem nicht gelingt, ist die Kehrseite der Medaille.
Risiken für Mitarbeitende / Teams
Mag. Petra Koinig (ITO): Erkennbare Herausforderungen für Teams mit überwiegend hybrider Zusammenarbeit sind die Aufrechterhaltung einer positiven Teamdynamik, die mögliche Gefahr der Isolation und des Verlustes der Identifikation mit dem Unternehmen bzw. der Teamaufgabe. Es ist wichtig, regelmäßig Zeit für die Teammitglieder zu reservieren, um sich nicht nur in virtuellen Meetings zu treffen, sondern in Präsenz, um die soziale Interaktion und den Austausch zu fördern.
Mag. Karin Schnopfhagen, MSc: Als Risiko für einzelne Mitarbeitende sehe ich es, wenn Home-Office zur „Pflicht“ wird und nicht mehr nur Option ist, denn nicht jeder will oder kann gut zu Hause arbeiten.
Als Gefahr für Mitarbeitende sehe ich es auch, wenn die Abgrenzung von Arbeit und Freizeit ganz alleine auf ihren Schultern abgeladen wird. Hier gilt es seitens der Führungskraft dafür zu sorgen, dass gemeinsam gute Regelungen erarbeitet werden, die für alle im Team lebbar sind.
Eva-Maria Kraus (NewView): Diffizil wird es dann, wenn das Homeoffice zu Einbußen für die eigene Arbeitsfähigkeit zur Folge hat oder einen von Karrierechancen ausschließt. Klassisch ist, dass wichtige Informationen, die für die Arbeit von Kollegen im Homeoffice essenziell sind, aus Versehen nicht weitergegeben werden. Das heißt, im Homeoffice wird ein Ergebnis erarbeitet, das im Büro schon überholt ist.
Introvertierte Mitarbeitende neigen im Homeoffice dazu, zu verschwinden oder zu vereinsamen. Auch Mitarbeitenden, die neu ins Team gekommen sind, gelingt es aus dem Homeoffice heraus nicht besonders gut, sich zu vernetzen und ihre Fähigkeiten zu zeigen.
Interviewte Personen
Eva-Maria Kraus
- Inhaberin & Trainerin
- NEWVIEW
Mag. Karin Schnopfhagen, MSc.
- Coach und Unternehmensberaterin
- Schnopfhagen Karin
Mag. Petra Koinig
- Trainerin, Consultant, Coach
- ITO – Individuum Team Organisation Personalmanagement GmbH
- Unternehmens-Profil
- www.ito.co.at
Mag. Andrea Schwarz, MA
- Projektleiterin und Beraterin
- bab Unternehmensberatung GmbH
Mag. Eva Ayberk
- Managing Partner
- Ayberk.co
Veronika Aumaier
- Geschäftsführerin
- Aumaier Consulting Training GmbH
- Unternehmens-Profil
- www.aumaier.com
Dr. Judith Girschik
- President
- ICF – International Coaching Federation- Austria Chapter
- Unternehmens-Profil
- www.coachingfederation.at