Weg mit Handy und E-Mail
Wer kennt die Situation nicht? Wir bekommen ein E-Mail, beantworten es aber nicht gleich, weil wir gerade anderes Wichtiges zu tun haben. Etwa 10 Minuten später der Anruf: „Haben Sie mein E-Mail nicht bekommen? Ich habe Ihnen geschrieben wegen der Sache …“. Die Erwartungen an die Geschwindigkeit, mit der wir kommunizieren, Antwort geben und Dinge erledigen, hat sich potenziert. Und mit ihr auch die Arbeitsbelastung für jeden Einzelnen. Aber auch die vermeintliche „Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit“, die der Besitz eines (Firmen-)Mobiltelefons so mit sich bringt, ist für viele zur täglichen Last geworden. Dabei drängt sich die Frage auf, wie lange wir ein solches Volumen noch schaffen? Und welche Auswege es denn gibt.
Wohin soll das führen…?
Eine Zahl, die sehr deutlich zeigt, wie sich unsere Kommunikation verändert hat, ist die Anzahl der täglich versendeten Mails. War diese vor zehn Jahren (2002) noch bei etwa 35 Milliarden Mails, die pro Tag um den Äther gegangen sind, so liegt die Zahl im Jahr 2012 bei geschätzten über 300 Milliarden pro Tag, das sind etwa 110 Billionen E-Mails im Jahr! Schätzungen zufolge sind etwa 90% davon Spam-Mails, also unerwünschte Massensendungen mehr oder weniger fragwürdigen Inhalts.
Experten gehen davon aus, dass die Menge an Kommunikationsschritten, die in durchschnittlicher Arbeitnehmer pro Tag setzt, seit der Nutzung von Internet und Mail mehr 70 Mal so groß ist. Das heißt, dass wir pro Stunde um 70 Mal mehr kommunizieren als wir das im Vorinternet-Zeitalter getan haben.
Die Symptome, die mit diesen gewaltigen Steigerungen einher gehen, sind schon vielerorts zu vernehmen. Nur Maßnahmen haben noch die wenigsten für sich getroffen.
Ich traue mich nicht mehr in Urlaub gehen…
Was zahlreiche Manager, aber natürlich auch Mitarbeiter, beklagen, ist die angenommene Dauerverfügbarkeit, die häufig mit der Vergabe eines Firmenhandys einher geht. Implizit wird angenommen, dass der Mitarbeiter dann zu jeder Tageszeit verfügbar ist für geschäftliche Termine – sei es wenn er gerade an der Supermarktkasse steht, im Kindergarten sein Kind abholt oder einfach nur ausspannen will. „Am besten gefällt mir hier, dass es keinen Handyempfang gibt.“ Diesen Satz habe ich vielfach gehört, wenn ich auf Tauchreisen auf einem Schiff war, weit weg von der Küste, wo kein Mobilnetz der Welt mehr hinstrahlt. Und tatsächlich, die Entspannung ist eine andere. Wenngleich sich auch rasch ein Gedanke aufdrängt… was, wenn wir wieder zurück sind? Wie voll wird meine Mailbox dann sein. Oder mein Postfach. Tatsächlich quält viele im Urlaub dieser Gedanke. Was wenn ich zurück komme, dann brauche ich alleine drei Tage bis ich mit meinen Mails durch bin. Kein unberechtigter Gedanke, angesichts der Tatsache, dass schätzungsweise zwischen 25 und 50% der Arbeitszeit eines Durchschnittsmanagers damit vergeht, E-Mails zu lesen oder zu schreiben.
Ungestört arbeiten – Fehlanzeige!
Was dabei für die meisten ein besonderer Stressfaktor ist, ist die fehlende Möglichkeit, noch ungestört an etwas zu arbeiten. Mit dem Handy in der Tasche und dem Mailprogramm, das offen ist, fällt es uns schwer, uns mehr als 15 Minuten zu konzentrieren. Studien aus den USA und Finnland sprechen bereits davon, dass die Mehrzahl der Nutzer bereits so etwas wie eine E-Mail Sucht entwickelt hat. Dabei wird der Mailaccount oder auch der Social Media Account zu jeder wachen Tageszeit mehrmals pro Stunde überprüft. US-Forscher haben bei Jugendlichen erstmals Stresssymptome festgestellt, wenn diese ohne Mobiltelefon einen Tag bestreiten mussten. Und die Prognosen zeigen, dass es noch schlimmer kommt. Tools, die über den Aufenthaltsort eines Users zusätzliche Informationen bereitstellen, sollen das Suchtrisiko sogar noch steigern.
Was können wir also tun?
Ich kann förmlich spüren, wie sich manch einer von Ihnen beim Lesen dieses Artikels dabei erwischt hat, bei dem Beschriebenen an seine eigene Situation zu denken. Tatsächlich setzen wir uns einem beträchtlichen Level an zu bewältigender Information und damit auch Stress aus. Und viele haben sich gefragt, was man dagegen tun kann. Nun ja, die Wege sind vielfältig.
E-Mail-freier Tag
Experten haben auf die Wichtigkeit ungestörter Arbeitsphasen verwiesen und einige wenige Unternehmen erproben sich schon daran – am E-Mail-freien Tag. Da wo es die Kundenwünsche oder die Organisation zulassen, kann ein solcher Tag – soferne er bewusst eingeführt und auch breit (auch nach außen!) kommuniziert ist – Wunder bewirken. Aber auch für jeden Einzelnen kann ein Mail-freier Tag Sinn machen. Vielleicht mal am Sonntag das i-Phone daheim lassen? Vor kurzem habe ich ein Unternehmen kennengelernt, die als kleinen Anfang einmal die Parole ausgegeben haben, dass am Wochenende und nach 17 Uhr nicht mehr auf E-Mails geantwortet werden muss. Das nimmt den Angestellten ein wenig Stress.
Übrigens gab es 2010 schon einmal eine Initiative, der sogenannte „Shut-Down-Day“ (www.shutdownday.org). Die Antworten der Menschen, die mitgemacht haben, sprechen Bände.
Weg mit dem Plink, Blopp und Bing
Handy auf Vibration und Ton am PC aus. Ein einfaches Mittel, aber hoch wirksam, will man ungestört arbeiten. Die Gefahr, dann doch nur mal kurz hineinzuschauen, wenn das Bing aus dem Computer dröhnt ist einfach zu groß…
IBM hat vor einiger Zeit einmal mit seinem Programm „Slow E-Mail-Movement“ Schlagzeilen gemacht. Dabei wurden die Mitarbeiter aufgefordert, nur mehr zwei Mal pro Tag, ihren Account anzusehen.
Handy bitte abgeben
Ein wenig drastischer, aber auch nicht ganz verwegen, ist die Idee, in Meetings Handys schlichtweg zu verbieten. Tatsächlich gibt es vereinzelte Berichte von Organisationen, die das bei wichtigen Besprechungen machen. In Schulen ist der Hinweis darauf, dass das Handy verboten ist, bereits üblich. Aber warum es nicht einmal wagen, am Beginn des Meetings einen Korb in die Mitte zu stellen mit der Bitte, das Handy hier abzugeben.
Trendforscher gehen davon aus, dass Urlaubsmöglichkeiten, in denen Handy und Mail tabu sind, ein durchaus lukratives Geschäft für die Reiseveranstalter sein werden. Nicht umsonst boomen jetzt schon die Wochen im Kloster. Weniger wegen der spirituellen Werte der Urlauber, als wegen einem knapp gewordenen Gut: Ruhe.
Konsequentes Abbestellen
Es sind ja nicht nur die gewollten Mail, sondern der Newsletter vom Online-Händler genau so wie der Berater, der uns mit vermeintlich interessanten Infos versorgt. Bestellen Sie unerwünschte Mails konsequent ab! Es ist zwar meist einfach, einfach zu löschen, aber dadurch löst sich das Problem nicht, dass wir immer einen vollen Eingang haben und erst recht ständig abgelenkt sind durch eingehende Mails und seien sie auch noch so unnötig. Auch Mailregeln, die unerwünschte Mails gleich in den Papierkorb katapultieren, sollten mehr genutzt werden.
Einfach mal nicht reagieren
Die Erfahrung zeigt uns, dass sich vieles wenn wir auf Urlaub sind, von selbst erledigt. Häufig passiert es, dass auf die Antwort nach dem Urlaub ein „hat sich schon erledigt“ zurück kommt. Daraus lässt sich schließen, dass es legitim ist, einfach mal zu warten. Oft regeln sich die Dinge von selbst.
In Unternehmen kann das Angeben klarer Deadlines eine Lösung sein. Einigt man sich in einem Betrieb darauf, klar anzugeben, bis wann etwas zu erledigen ist, kann das alleine schon viel bewirken. „Dieser Auftrag hat bis Freitag Zeit zur Erledigung“ hält uns davon ab, uns sofort bemüßigt zu fühlen, zu reagieren.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Mail-Flut? Sind E-Mail-freie Tage tatsächlich realistisch? Und fordern wir nicht als Kunden oft die sofortige Verfügbarkeit ein? Ihre Gedanken interessieren mich…
Raus aus der Kommunikation